Gesetzesantrag des Landes Baden-WürttembergBundesrat Drucksache 98/21
Gesetzesantrag
des Landes Baden-Württemberg
03.02.21
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Fleischgesetzes und
des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
A. Problem und Ziel
Die Fleischerzeugung in Deutschland nimmt einen hohen Stellenwert am landwirtschaftlichen
Produktionswert ein. Während die Verbrauchererwartungen
hinsichtlich tierwohlgerechter Erzeugung sowie an andere Produktionsparameter
kontinuierlich ansteigen, sind die Erzeugerpreise bzw. -erlöse für Fleisch in
Deutschland im Durchschnitt der letzten Jahre auf einem vergleichsweise niedrigen
und für viele Erzeuger über längere Zeiträume auf einem wirtschaftlich
unbefriedigenden Niveau geblieben.
Vom Grundsatz her bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis. Je nachdem
wie Angebot und Nachfrage im Ungleichgewicht liegen, wird sich die Preisentwicklung
und das damit verbundene Preisniveau entsprechend anpassen
bzw. einstellen. Unbeschadet dieser Gesetzmäßigkeit besteht aber eine strukturelle
Schieflage im Spiel zwischen Angebot und Nachfrage, wenn eher heterogene
landwirtschaftliche Produktions- und Vermarktungsstrukturen einer oligopolistischen
Abnehmerstruktur des deutschen Lebensmitteleinzelhandels gegenüberstehen.
Vor diesem Hintergrund und auch angesichts der vergleichsweise hohen Produktionsstandards
in Deutschland besteht die Gefahr, dass die von der Gesellschaft
geforderten Veränderungen in der Fleischproduktion nicht stattfinden
und der erforderliche Investitionsbedarf entlang der entsprechenden Wertschöpfungsketten,
vor allem in der Urproduktion, angesichts des verbundenen Investitionsrisikos
nicht getätigt wird. Denn eine Grundvoraussetzung, um qualitativ
hochwertiges Fleisch – sowohl in Bezug auf die Produkt- als auch die Prozessqualität
– erzeugen sowie vermarkten zu können und den oben aufgeführten
Ansprüchen gerecht zu werden, ist vor allem die Sicherstellung des Schutzes
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln
Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0720-2946
Drucksache 98/21 -2-
der Gesundheit der Tiere und des Tierwohls in allen Lebensphasen, von der
Geburt über die Aufzucht und Mastphase bis hin zur Schlachtung.
Wenn entsprechende Rahmenbedingungen nicht geschaffen werden können, die
diesen Prozess unterstützen, ist davon auszugehen, dass die Tierhaltung in
Deutschland immer mehr zurückgeht. Die Gefahr besteht, dass der Selbstversorgungsgrad
zurückgeht, Marktanteile verloren gehen bzw. durch Import aus
anderen Ländern kompensiert wird, auf deren Produktionsstandards kein Einfluss
genommen werden kann.
Damit die Erzeugerinnen und Erzeuger den steigenden Anforderungen insbesondere
beim Tierwohl gerecht werden können, müssen die baulichen und technischen
Voraussetzungen geschaffen und finanziert werden und der damit verbundene
Mehraufwand sowie der Mehraufwand für den höheren Arbeitszeitbedarf
über den Markt durch entsprechende Erzeugerpreise gedeckt werden. Mit
der Einführung des Instruments einer Mindestpreisbindung auf Erzeugerebene,
verbunden mit der dazu erforderlichen Bündelung und nachfragekonformen
Weiterentwicklung des Angebots, soll letztendlich die erforderliche Stärkung
der Angebotsseite befördert werden.
B. Lösung
Anerkannten Vereinigungen von Erzeugerorganisationen soll die Möglichkeit
gegeben werden, für ihre zugehörigen Erzeugerorganisationen und deren angeschlossenen
Erzeugern verbindliche Mindestpreise pro Kilogramm Schlachtgewicht
für Fleisch festzusetzen. Dadurch kann dem strukturellen Ungleichgewicht
auf den Fleischmärkten besser begegnet werden. Durch die Festlegung
eines Mindestverkaufspreises innerhalb einer Erzeugervereinigung wird eine
unternehmensinterne Entscheidung gefällt, die andere Wettbewerber, beispielsweise
Erzeuger, Verarbeiter des Fleisches oder der Lebensmitteleinzelhandel,
nicht bindet.
Damit die Mindestpreisbindung im Einklang mit dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
erfolgen kann, muss in diesem eine Ausnahme für die
Preisbindung im Fleischgesetz geregelt werden.
C. Alternativen
Alternativen bestehen keine. Die Einführung des Instruments einer Mindestpreisbindung
auf Erzeugerebene kann nur durch eine Änderung des Fleischgesetzes
und des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen EU-rechtskonform
umgesetzt werden.
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D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Es entstehen keine Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand.
E. Erfüllungsaufwand
E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger
Die durch die anerkannte Vereinigung von Erzeugerorganisationen bestimmten
Mindestpreise im Fleischsektor können zu einer Verteuerung der Fleischprodukte
für die Bürgerinnen und Bürger führen, weil der Lebensmittelhandel,
um seine Gewinnmargen konstant zu halten, bestrebt ist, die ggf. höheren Einkaufspreise
mit einer entsprechenden Anhebung der Endverkaufspreise auszugleichen.
Dabei wird die letztendliche Bildung von verschiedenen Verbraucherpreisen
wie bisher im Wesentlichen von weiteren Faktoren, wie der mengenmäßigen
Nachfrage nach einzelnen Teilstücken, pflanzenbasierten Alternativen
und auch der Entwicklung auf überregionalen Märkten, abhängig sein.
Daher kann der Erfüllungsaufwand für die Bürgerinnen und Bürger nicht konkret
beziffert werden, da auch diese aufgrund steigender Preise und einem verfügbaren
Budget ihr Konsumverhalten generell ändern könnten.
E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft
Durch die Festlegung von Mindesterzeugerpreisen durch eine Vereinigung
von Erzeugerorganisationen entsteht für die Vereinigung ein Mehraufwand.
Trotzdem wird eine Preisfestsetzung einhergehend mit der erforderlichen
Bündelung, Steuerung und Weiterentwicklung des Angebots sich positiv auf
die Erlössituation der Erzeugerinnen und Erzeuger auswirken. Zudem ist mit
einer Reduzierung des Marktrisikos und mit einer verbesserten Marktstellung
zurechnen. Aber auch hier lässt sich der genaue Erfüllungsaufwand nicht beziffern.
E.3 Erfüllungsaufwand für die Verwaltung
Der Verwaltung entsteht ein Erfüllungsaufwand im Hinblick auf die Anerkennung
sich neu bildender Zusammenschlüsse von anerkannten Vereinigungen
von Erzeugerorganisationen, sofern sich diese bilden, um Mindestpreise festzulegen.
Eine genaue Bezifferung des Erfüllungsaufwands ist nicht möglich.
Da das Verfahren zur Anerkennung von Zusammenschlüssen bereits jetzt
Verwaltungspraxis ist, kann jedoch von einem geringen zusätzlichen Erfüllungsaufwand
ausgegangen werden. Die Entstehung ist u.a. von der Zuständigkeitsverteilung
innerhalb des jeweiligen Bundeslands abhängig.
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F. Weitere Kosten
Weitere Kosten sind nicht ersichtlich.
Bundesrat Drucksache 98/21
Gesetzesantrag
des Landes Baden-Württemberg
03.02.21
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Fleischgesetzes und
des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
Der Ministerpräsident Stuttgart, 3. Februar 2021
des Landes Baden-Württemberg
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Reiner Haseloff
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung von Baden-Württemberg hat beschlossen, dem Bundesrat den
als Anlage beigefügten
Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Fleischgesetzes und des
Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates
in die Tagesordnung der 1000. Sitzung des Bundesrates am 12. Februar 2021
aufzunehmen und sie anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Winfried Kretschmann
Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Fleischgesetzes und des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen
Vom …
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Fleischgesetzes
§ 9 des Fleischgesetzes vom 9. April 2008 (BGBl. S. 714, ber. 1025), das zuletzt durch Artikel
102 des Gesetzes vom 20. November 2019 (BGBl. S. 1626, 1686) geändert worden
ist, wird wie folgt geändert:
1. In der Überschrift wird nach dem Wort „Schlachtkörpern“ das Wort „, Mindestpreisbindung“
eingefügt.
2. Folgender Absatz 4 wird angefügt:
„(4) Eine anerkannte Vereinigung von Erzeugerorganisationen kann für ihre zugehörigen
Erzeugerorganisationen und deren angeschlossenen Erzeuger verbindliche Mindestpreise
pro Kilogramm Schlachtgewicht für Fleisch festsetzen.“
Artikel 2
Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
In § 28 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung
vom 26. Juni 2013 (BGBl. S. 1750, 1751, ber. 3245), das zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes
vom 26. November 2020 (BGBl. S. 2568, 2574) geändert worden ist, werden nach
dem Wort „ausschließen“ die Wörter „; ausgenommen sind Preisbindungen nach § 9 Absatz
4 des Fleischgesetzes“ eingefügt.
Artikel 3
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
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Begründung
A. Allgemeiner Teil
I. Anlass und Ziel
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Die Fleischerzeugung in Deutschland nimmt einen hohen Stellenwert am landwirtschaftlichen
Produktionswert ein. Während die Verbrauchererwartungen hinsichtlich
tierwohlgerechter Erzeugung sowie an andere Produktionsparameter kontinuierlich ansteigen,
sind die Erzeugerpreise bzw. -erlöse für Fleisch in Deutschland im Durchschnitt
der letzten Jahre auf einem vergleichsweise niedrigen und für viele Erzeuger
über längere Zeiträume auf einem wirtschaftlich unbefriedigenden Niveau geblieben.
Vom Grundsatz her bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis. Je nachdem wie
Angebot und Nachfrage im Ungleichgewicht liegen, wird sich die Preisentwicklung und
das damit verbundene Preisniveau entsprechend anpassen bzw. einstellen. Unbeschadet
dieser Gesetzmäßigkeit besteht aber eine strukturelle Schieflage im Spiel zwischen
Angebot und Nachfrage, wenn eher heterogene landwirtschaftliche Produktionsund
Vermarktungsstrukturen einer oligopolistischen Abnehmerstruktur des deutschen
Lebensmitteleinzelhandels gegenüberstehen.
Vor diesem Hintergrund und auch angesichts der vergleichsweise hohen Produktionsstandards
in Deutschland besteht die Gefahr, dass die von der Gesellschaft geforderten
Veränderungen in der Fleischproduktion nicht stattfinden und der erforderliche Investitionsbedarf
entlang der entsprechenden Wertschöpfungsketten, vor allem in der
Urproduktion, angesichts des verbundenen Investitionsrisikos nicht getätigt wird. Denn
eine Grundvoraussetzung, um qualitativ hochwertiges Fleisch – sowohl in Bezug auf
die Produkt- als auch die Prozessqualität – erzeugen sowie vermarkten zu können und
den oben aufgeführten Ansprüchen gerecht zu werden, ist vor allem die Sicherstellung
des Schutzes der Gesundheit der Tiere und des Tierwohls in allen Lebensphasen, von
der Geburt über die Aufzucht und Mastphase bis hin zur Schlachtung. Unbeschadet
davon ist auch die Erfüllung weiterer Anforderungen, z. B. im Zusammenhang mit dem
erforderlichen Beitrag für mehr Klima- und Umweltschutz, sicherzustellen.
Wenn entsprechende Rahmenbedingungen nicht geschaffen werden können, die diesen
Prozess unterstützen, ist davon auszugehen, dass die Tierhaltung in Deutschland
immer mehr zurückgeht. Die Gefahr besteht, dass der Selbstversorgungsgrad zurückgeht,
Marktanteile verloren gehen bzw. durch Import aus anderen Ländern kompensiert
wird, auf deren Produktionsstandards kein Einfluss genommen werden kann.
Damit die Erzeugerinnen und Erzeuger den steigenden Anforderungen insbesondere
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beim Tierwohl gerecht werden können, müssen die baulichen und technischen Voraussetzungen
geschaffen und finanziert werden und der damit verbundene Mehraufwand
sowie der Mehraufwand für den höheren Arbeitszeitbedarf über den Markt durch entsprechende
Erzeugerpreise gedeckt werden. Mit der Einführung des Instruments einer
Mindestpreisbindung auf Erzeugerebene, verbunden mit der dazu erforderlichen Bündelung
und nachfragekonformen Weiterentwicklung des Angebots, soll letztendlich die
erforderliche Stärkung der Angebotsseite befördert werden.
Eine verbindliche Mindestpreisbindung pro Kilogramm Schlachtgewicht für Fleisch
durch eine anerkannte Vereinigung von Erzeugerorganisationen für ihre Mitglieder bietet
den angeschlossenen Erzeugerinnen und Erzeugern die Möglichkeit, dem strukturellen
Ungleichgewicht auf den Fleischmärkten besser zu begegnen, verbunden mit
den dazu erforderlichen Maßnahmen und Aktivitäten zur Marktbearbeitung und weiterer
Anpassung bzw. Weiterentwicklung des Angebots. Dies gilt insbesondere auch im
Hinblick auf den Handlungsbedarf, der sich durch die sich weiter ändernden Anforderungen
im Hinblick auf die Prozess- und Produktqualität der entsprechenden Erzeugnisse
zukünftig verstärkt ergibt.
II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs
Der Entwurf beinhaltet die Möglichkeit für nach EU-Recht entsprechend anerkannte
Vereinigungen von Erzeugerorganisationen für ihre zugehörigen Erzeugerorganisationen
und diesen angeschlossenen Erzeuger verbindliche Mindestpreise pro Kilogramm
Schlachtgewicht für Fleisch festzusetzen. Zur Stärkung der Verhandlungsposition der
Landwirte unterstützt die EU Landwirte, die sich in Erzeugerorganisationen bzw. zu
Vereinigungen von Erzeugerorganisationen zusammenschließen.
Diese Regelung erfolgt am sinnvollsten im Fleischgesetz. Zusätzlich muss diese Abweichung
von den Wettbewerbsregelungen als Ausnahme im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
aufgenommen werden. Unbeschadet dieser Regelungen verbleibt
die unternehmerische Verantwortung bei den einzelnen Erzeugerinnen und Erzeugern
und deren Erzeugerorganisationen sowie Vereinigungen.
III. Alternativen
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Alternativen bestehen keine. Die Einführung des Instruments einer Mindestpreisbindung
auf Erzeugerebene kann nur durch eine Änderung des Fleischgesetzes und des
Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen EU-rechtskonform umgesetzt werden.
Da das Fleischgesetz das speziellere Gesetz ist, wird die Preisregelung in diesem und
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nicht im Agrarmarktstrukturgesetz verankert.
IV. Gesetzgebungskompetenz
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Änderung des Fleischgesetzes
ergibt sich aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 11 Grundgesetz (Recht der Wirtschaft). Die
Berechtigung des Bundes zur Inanspruchnahme der Gesetzgebungskompetenz folgt
aus Artikel 72 Absatz 2 Alternative 2 Grundgesetz, da die Regelung der Wahrung der
Wirtschaftseinheit dient und im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche
Regelung erforderlich ist. Um die Versorgungssicherheit der Bevölkerung mit Fleisch
und Fleischprodukten unter Wahrung der erforderlichen Produkt- und Prozessqualität
gewährleisten und die fleischerzeugenden Betriebe erhalten zu können, sind angemessene
Erzeugerpreise erforderlich. Andernfalls würde ein beschleunigter Strukturwandel
mit zurückgehender Tierproduktion mit negativen Auswirkungen für die Agrarstruktur
(z.B. auf die der Produktion vorgelagerten Bereiche), den Erhalt kurzer Wertschöpfungsketten
mit Qualitätsprodukten zur Versorgung der Verbraucher und den ländlichen
Raum erfolgen. Zudem soll den Erzeugerinnen und Erzeugern über die Mitgliedschaft
in einer Erzeugerorganisation die Möglichkeit geboten werden, selbstbestimmt
angemessene Mindestpreise unter Berücksichtigung der ggf. unterschiedlichen Märkte
und Produktionsstrukturen festzulegen. Die Verantwortung zur Wahrung und Weiterentwicklung
der Wirtschaftseinheit „Fleischproduktion“ durch die Erzeugerinnen und
Erzeuger und deren anerkannte Zusammenschlüsse wird somit maßgeblich gestärkt.
Außerdem folgt die Gesetzgebungskompetenz aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 17
(Förderung landwirtschaftlicher Erzeugung) und Nummer 20 (Tierschutz) Grundgesetz.
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Änderungen des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen basiert auf Artikel 74 Absatz 1 Nummer 16 Grundgesetz
(die Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung).
V. Vereinbarkeit mit dem nationalem Recht und dem Recht der Europäischen Union
Die beabsichtigte Fleischpreisbindung verstößt nicht gegen das Grundgesetz.
Es liegt kein Verstoß gegen Artikel 12 Grundgesetz (Berufsfreiheit) vor, da der Eingriff
in die Berufsausübung gerechtfertigt ist. Eine solche Rechtfertigung ist gegeben, wenn
der Eingriff durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird, d. h. wenn das gewählte Mittel zur Erreichung
des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Ge-
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samtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden
Gründe die Grenze der Zumutbarkeit nicht überschritten wird. Die Möglichkeit
der Erzeuger, bei entsprechenden Voraussetzungen Mindestpreise für Fleisch festzulegen,
dient dem Gemeinwohl. Fleisch zählt seit jeher zu den Grundnahrungsmitteln der
Menschen und liefert wertvolles Eiweiß, Vitamine und Mineralstoffe, insbesondere Eisen.
Die Versorgung der deutschen Bevölkerung mit Fleisch- und Fleischprodukten
muss aufgrund steigender Kostenstrukturen und dem damit einhergehenden Strukturwandel
von immer weniger Erzeugern bewerkstelligt werden. Darüber hinaus steigen
die zivilgesellschaftlichen Anforderungen insbesondere im Hinblick auf eine tiergerechte
Tierhaltung. Der Schutz der Gesundheit und das Wohlbefinden des Tieres bis zu seinem
Tod stehen hier im Mittelpunkt und tragen wesentlich zum Gemeinwohl bei. Die Diskrepanz
zwischen einer ausgeprägten Preissensibilität auf der einen Seite und den steigenden
Ansprüchen der Gesellschaft an die Fleischerzeugung auf der anderen Seite lässt
sich marktgerecht durch eine Ermächtigung für eine anerkannte Vereinigung von Erzeugerorganisationen
entgegenwirken, verbindliche Mindestpreise für Fleisch für ihre zugehörigen
Erzeugerorganisationen und deren Erzeugerinnen und Erzeuger festsetzen können.
Eine solche Mindestpreisbindung für Fleisch ist geeignet, da sowohl die Finanzierung
einer tiergerechten Tierhaltung ermöglicht als auch das Fortbestehen der Betriebe und
die Lebensgrundlage dieser landwirtschaftlichen Familienbetriebe gesichert wird. Der
Umgang mit Lebewesen in der landwirtschaftlichen Produktion erfordert einen höheren
qualitativen und zeitlichen Personalaufwand. Die dadurch entstehenden Mehrkosten
sollten dann speziell bei tierhaltenden Betrieben durch angemessene Mindestpreise abgedeckt
werden können.
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Die Ermächtigung für eine anerkannte Vereinigung von Erzeugerorganisationen, verbindliche
Mindestpreise pro Kilogramm Schlachtgewicht für Fleisch für ihre Mitglieder
auf der Erzeugerebene bzw. Erzeugerorganisationsebene festzulegen, ist auch erforderlich,
um die oben genannten Ziele zu erreichen. Zunächst handelt es sich hier weniger
um einen staatlichen Eingriff, sondern vielmehr um eine marktwirtschaftliche Regelung
mit entsprechendem Interesse an mehr unternehmerischer Verantwortung, unternehmerische
Gestaltungsspielräume sowie die dazu erforderlichen Eigenkontrollen. Die
Verantwortung zur Weiterentwicklung und Gestaltung des Angebots und der Verbesserung
der Markstellung verbleibt somit bei den Akteuren in deren gemeinschaftlichen Organisationen.
Der Vorteil ist dabei, dass die Erzeugerinnen und Erzeuger einen größeren
Spielraum haben und flexibler auf Marktentwicklungen reagieren können, als dies
bei prozentualen Steuererhebungen oder starren Mengenabgaben zutreffend ist. Zudem
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zeichnen sich vom Staat verordnete steuerliche Maßnahmen meist durch ihre Verwaltungsintensität
aus und verursachen infolge hohe Kosten. Eine Erhöhung des MwSt.-
Satzes von 7 % auf 19 % wird als nicht zielführend gesehen, weil dadurch höherwertiges
Fleisch mit höheren Preisen (z. B. Bio) stärker belastet werden würde, obwohl dort die
Anforderungen an eine tierwohlgerechtere Produktion besser erfüllt werden. Außerdem
könnte eine Fleischsteuer fälschlicherweise analog zur Zigaretten- und Alkoholsteuer
bzw. mit der in Diskussion befindlichen Zuckersteuer mit negativen Gesundheitseffekten
assoziiert werden. Dabei leistet Fleisch mit seinem wertvollen Gehalt an tierischem Eiweiß,
Vitaminen und Mineralstoffen einen wichtigen Beitrag zu einer ausgewogenen Ernährung
des Menschen.
Auch Sonderabgaben stellen kein milderes Mittel dar. Sie sind verfassungsrechtlich kritisch
zu bewerten, da sichergestellt werden muss, dass diese Mittel entsprechend umfänglich
für diesen Zweck auch von der Landwirtschaft eingesetzt und abgerufen werden.
Es wird damit auch kein Impuls bzw. Anreiz gegeben, wirkungsvoll die Marktstellung
und Marktbearbeitung durch Erzeugerorganisation und deren Vereinigung zu verbessern.
Zudem werden auch Verbrauchermindestpreise auf der Einzelhandelsstufe,
neben der Komplexität dieses Instruments, angesichts des Wettbewerbs zwischen den
Anbietern und Abnehmern und insbesondere auch unter den Anbietern selbst keine dauerhaft
verlässliche Erlössituation für die Landwirtschaft garantieren können.
Eine Mindestpreisbindung auf Primärerzeugungsebene hingegen ist weniger verwaltungsintensiv,
zeigt unmittelbare Wirkung bei den Erzeugern sowie ein deutlich niedrigeres
Kostenpotential. Sie stellt somit einen attraktiven Anreiz dar, die Angebotsseite
und deren Maßnahmen der Marktbearbeitung weiter zu bündeln.
Durch die deutlich geringere Eingriffsintensität in das komplexe System der Wertschöpfungskette
auf der untersten Produktionsstufe ist auch die Zumutbarkeit gegeben.
Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb aus Artikel 14 Grundgesetz
ist nicht verletzt, da dieses Grundrecht nur den Bestand des Erworbenen schützt
und damit nur einen Bestandsschutz bietet.
Letztlich ist auch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3
Grundgesetz) ersichtlich, da die Ungleichbehandlung zwischen den Fleischpreisen und
anderen Agrarprodukten, entsprechend des höheren finanziellen und personellen Aufwands
für den Schutz der Gesundheit und die Wahrung des Wohlbefindens jedes einzelnen
Tieres, erforderlich ist.
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Damit die Fleischpreisbindung vereinbar mit dem Wettbewerbsrecht ist, soll das Gesetz
gegen Wettbewerbsbeschränkungen durch Artikel 2 des Änderungsgesetzes geändert
werden. So wird klargestellt, dass die Festlegung eines einheitlichen Mindestverkaufspreises
durch Erzeugervereinigungen nicht unter das Preisbindungsverbot fällt. Denn es
handelt sich bei der Festlegung lediglich um eine unternehmensinterne Entscheidung,
durch die Wettbewerber nicht gebunden werden.
Die Fleischpreisbindung ist auch konform mit der Warenverkehrsfreiheit, da sie aus den
oben genannten Gründen dem Allgemeininteresse dient, verhältnismäßig ist und nicht
in den freien Warenverkehr im EU-Binnenmarkt eingreift. Sie stellt einen Beitrag zur
Resilienz der europäischen Land- und Ernährungswirtschaft dar.
VI. Gesetzesfolgen
1. Nachhaltigkeitsaspekte
Die Fleischpreisbindung hat durch die damit zwingend verbundene Ausrichtung an Verbrauchererwartungen
nachhaltige Auswirkungen auf das Tierwohl. Sie wirkt sich weiterhin
nachhaltig auf den Gesundheits-, Arbeits- und Klimaschutz sowie auf die Wertschöpfungskette
aus, da landwirtschaftliche Unternehmen und ihre nach EU-Recht anerkannten
Zusammenschlüsse gestärkt werden.
2. Erfüllungsaufwand
a) Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger
Die durch die anerkannte Vereinigung von Erzeugerorganisationen bestimmten Mindestpreise
im Fleischsektor können zu einer Verteuerung der Fleischprodukte für die
Bürgerinnen und Bürger führen, weil der Lebensmittelhandel, um seine Gewinnmargen
konstant zu halten, bestrebt ist, die ggf. höheren Einkaufspreise mit einer entsprechenden
Anhebung der Endverkaufspreise auszugleichen. Dabei wird die letztendliche Bildung
von verschiedenen Verbraucherpreisen wie bisher im Wesentlichen von weiteren
Faktoren, wie der mengenmäßigen Nachfrage nach einzelnen Teilstücken, pflanzenbasierten
Alternativen und auch der Entwicklung auf überregionalen Märkten, abhängig
sein. Daher kann der Erfüllungsaufwand für die Bürgerinnen und Bürger nicht konkret
beziffert werden, da auch diese aufgrund steigender Preise und einem verfügbaren
Budget ihr Konsumverhalten generell ändern könnten.
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b) Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft
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Durch die Festlegung von Mindesterzeugerpreisen durch eine Vereinigung von Erzeugerorganisationen
entsteht für die Vereinigung ein Mehraufwand. Trotzdem wird eine
Preisfestsetzung einhergehend mit der erforderlichen Bündelung, Steuerung und Weiterentwicklung
des Angebots sich positiv auf die Erlössituation der Erzeugerinnen und
Erzeuger auswirken. Zudem ist mit einer Reduzierung des Marktrisikos und mit einer
verbesserten Marktstellung zurechnen. Aber auch hier lässt sich der genaue Erfüllungsaufwand
nicht beziffern.
c) Erfüllungsaufwand der Verwaltung
Der Verwaltung entsteht ein Erfüllungsaufwand im Hinblick auf die Anerkennung sich
neu bildender Zusammenschlüsse von anerkannten Vereinigungen von Erzeugerorganisationen,
sofern sich diese bilden, um Mindestpreise festzulegen. Eine genaue Bezifferung
des Erfüllungsaufwands ist nicht möglich. Da das Verfahren zur Anerkennung
von Zusammenschlüssen bereits jetzt Verwaltungspraxis ist, kann jedoch von einem
geringen zusätzlichen Erfüllungsaufwand ausgegangen werden. Die Entstehung ist
u.a. von der Zuständigkeitsverteilung innerhalb des jeweiligen Bundeslands abhängig.
3. Weitere Kosten
Weitere Kosten sind nicht ersichtlich.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1
Artikel 1 enthält die Erweiterung des § 9 des Fleischgesetztes um den Absatz 4, wonach
den anerkannten Vereinigungen von Erzeugerorganisationen die Möglichkeit eingeräumt
wird, einen verbindlichen Mindestpreis für Fleisch festzulegen, unter dem ihre
Erzeugerorganisationen das Fleisch bzw. die entsprechenden Schlachttiere ihrer Mitglieder
nicht verkaufen dürfen.
Um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Erzeugnisse zu verbessern, können sich Landwirte
einer entsprechenden Erzeugerorganisation anschließen. Die Voraussetzungen sowie
das Verfahren zur Anerkennung einer solchen Vereinigung von Erzeugerorganisationen
ist bundeseinheitlich im Agrarmarkstrukturgesetz sowie in der dazugehörigen Agrarmarktstrukturverordnung
geregelt.
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Die Mindestpreisbindung gilt für Schlachttiere aller Fleischarten, die von den im
Fleischgesetz nach § 1 Nummer 1 aufgeführten Schlachttieren stammen, sowie für alle
weiteren Fleischarten, für die es anerkannte Erzeugerorganisationen sowie mindestens
eine entsprechende Erzeugervereinigung gibt.
Je mehr Erzeugerorganisationen sich in einer anerkannten Vereinigung von Erzeugerorganisationen
zusammenschließen, umso wirksamer ist das Instrument des Mindestpreises.
Die Verantwortung, aber auch die dadurch gewonnene Verhandlungsmacht,
liegt direkt bei den entsprechenden landwirtschaftlichen Unternehmen und Organisationen.
Unbeschadet des vereinbarten Mindestpreises bleibt es den einzelnen Erzeugerorganisationen
unbenommen, zusätzliche Zuschläge auf den Mindestpreis zu erheben,
z. B. für besondere Qualitätskriterien.
Die Überschrift des § 9 des Fleischgesetzes wird um den Begriff „Mindestpreisbindung“
erweitert und damit dem Inhalt des neuen Absatz 4 angepasst.
Zu Artikel 2
Die Ergänzung des § 28 Absatz 1 Satz 1 GWB regelt eine Ausnahme für die Preisbindung
im Fleischgesetz, damit klargestellt wird, dass die Mindestpreisbindung im Einklang
mit diesem Gesetz erfolgt.
Zu Artikel 3
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.
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