Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Agrarmarktstrukturgesetzes – Drucksache 19/26102 –Deutscher Bundestag Drucksache 19/26923
19. Wahlperiode
(zu Drucksache 19/26102)
24.02.2021
Unterrichtung
durch die Bundesregierung
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des
Agrarmarktstrukturgesetzes
– Drucksache 19/26102 –
Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung
Stellungnahme des Bunderates
Der Bundesrat hat in seiner 1000. Sitzung am 12. Februar 2021 beschlossen, zu dem
Gesetz gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
Zum Gesetzentwurf insgesamt
1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Umsetzung
der EU-Richtlinie 2019/633 des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 17. April 2019 über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen
zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette
(kurz UTP-Richtlinie) zügig vorgelegt hat. Von der Erweiterung des bisherigen
Agrarmarktstrukturgesetzes zum Gesetz zur Stärkung der Organisationen und
Lieferketten im Agrarbereich (Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetz)
erwartet er eine deutliche Verbesserung des Schutzes der Primärerzeuger vor
unlauteren Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette.
2. Der Bundesrat begrüßt, dass die Bundesregierung bei der Umsetzung der UTP-
Richtlinie in einem ersten Schritt bereits zwei der sogenannten grauen Praktiken
zu verbindlichen Verboten erklären will. Er sieht jedoch die Gefahr, dass weitere
sachlich kaum erklärbare Handelspraktiken, die bislang im Gesetzesentwurf
nur bei fehlender Vereinbarung verboten sind (graue Handelspraktiken), aufgrund
einer überlegenen Verhandlungsposition der Käuferseite weiterhin mit
den Lieferanten vertraglich vereinbart werden. Er ist daher der Auffassung, dass
faire Handelsbeziehungen in der Lebensmittelkette nur sichergestellt werden
können, wenn auch die übrigen grauen Handelspraktiken grundsätzlich nicht er-
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt.
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laubt sind. Der Bundesrat fordert daher die Bundesregierung auf, alle „grauen
Handelspraktiken“ im Gesetz zu verbindlichen Verboten zu erklären.
3. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung in Anbetracht der Befürchtung von
Ausweichbewegungen bzw. noch nicht beschriebenen unlauteren Handelspraktiken
ferner auf, eine offene Generalklausel zur Erfassung weiterer Formen unlauterer
Handelspraktiken in das Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetz
aufzunehmen. Die Einführung einer normativ eingefassten Generalklausel, welche
jede Form unlauterer Geschäftspraktiken verbietet, erachtet er als notwendig,
um flexibel auf nicht gerechtfertigte Handelspraktiken der Käufer in der
Lebensmittellieferkette zu reagieren und auch neuartige Handelspraktiken als
unlauter einzustufen und so abstellen zu können.
4. Darüber hinaus hält der Bundesrat weitere Maßnahmen für erforderlich, um die
Preisfairness in der Wertschöpfungskette zu verbessern. Gerade im Fleischbereich
zeigt sich, dass die auf Niedrigpreise und Lockangebote abstellende Werbung
des Lebensmitteleinzelhandels äußerst kritisch zu bewerten ist. Derartige
Preise spiegeln den Wert der Tiere und die notwendige Arbeit bis zum Fleischerzeugnis
nur unzureichend wider. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung
auf, die auf Niedrigpreise abgestellte Werbung für Fleisch und Fleischerzeugnisse
zu verbieten. Dabei soll die Bewerbung qualitativer Eigenschaften
weiterhin ermöglicht und im Interesse der Erkennbarkeit für den Verbraucher
gestärkt werden.
5. Der Bundesrat betont zudem die Notwendigkeit, die Verteilungsmechanismen
der Gesamtwertschöpfung an die Teilnehmer in der Wertschöpfungskette fairer
zu gestalten. Er fordert deshalb die Bundesregierung auf, die Umsetzung der
UTP-Richtlinie gleichzeitig auch hierfür zu nutzen. Dabei soll ein allgemeines
Verbot des Einkaufs unter typisierten Produktionskosten entlang der gesamten
Wertschöpfungskette als Beispiel für eine entsprechende Rechtsetzung weiterverfolgt
und auf seine praktische Umsetzung geprüft werden.
6. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung ferner, insbesondere den Aspekt der
Größe der Unternehmen, die unter die Schutzwirkung des Gesetzes fallen, erneut
zu überprüfen. Mit der aktuellen Begrenzung auf einen Jahresumsatz auf
350 Mio.€ können große Teile der Verarbeitungsunternehmen nicht von der
Schutzwirkung des Gesetzes profitieren und sind nach wie vor gegenüber dem
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt.
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Lebensmitteleinzelhandel in einer deutlich unterlegenen Verhandlungsposition.
7. Der Bundesrat betont zudem die dringende Notwendigkeit, die Wirksamkeit der
Regelungen im Wettbewerbsrecht einer kritischen Überprüfung zu unterziehen
und dabei alle Möglichkeiten im Kartellrecht auszuloten, die dazu beitragen, die
Verhandlungspositionen der Handelspartner auf ein ausgewogenes Niveau zu
bringen.
8. Die Bundesregierung wird gebeten zu prüfen, ob im Teil 3 Kapitel 1 Abschnitt
1 - Unlautere Handelspraktiken -, eine Schutzbedürftigkeit des Lieferanten
besteht, die die Aufnahme einer Beweislastumkehr rechtfertigen würde.
9. Der Bundesrat begrüßt das mit dem Gesetzentwurf verfolgte Ziel, landwirtschaftliche
Primärerzeuger und Lieferanten vor unlauteren Handelspraktiken zu
schützen. Der Bundesrat ist jedoch der Ansicht, dass zur Stärkung der Position
von Erzeugerinnen und Erzeuger in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette
weitergehende rechtliche Regelungen erforderlich sind.
10. Der Bundesrat hält es für erforderlich, die Liste der unlauteren Handelspraktiken
zu erweitern, um freiwillige bzw. einseitige Auflagen, die auf einer Ausnutzung
des wirtschaftlichen Ungleichgewichts zwischen Käufern und Lieferanten
beruhen, zu verbieten.
11. Der Bundesrat hält es für erforderlich, den Geltungsbereich im weiteren Gesetzgebungsverfahren
zu erweitern, um Verarbeitungsunternehmen als Hauptabnehmer
von Primärprodukten für die Gestaltung fairer Lieferbeziehungen
stärker in die Pflicht zu nehmen.
12. Zu Artikel 1 Nummer 16 (§ 23,
§ 26 Absatz 2 Satz 1, 2, 3, 4 und 5 sowie
Absatz 3,
§ 30 Absatz 1,
§ 34 Nummer 3,
§ 35 Satz 2,
§ 46 Absatz 2 Satz 1 und 2 AgrarMSG)
Artikel 1 Nummer 16 ist wie folgt zu ändern:
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt.
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a) In § 23 sind die Wörter „des Bundeskartellamts“ durch die Wörter „die
Kartellbehörden“ zu ersetzen.
b) § 26 ist wie folgt zu ändern:
aa) Absatz 2 ist wie folgt zu ändern:
aaa) In Satz 1, 2, 3 und 4 sind jeweils die Wörter „dem Bundeskartellamt“
durch die Wörter „der zuständigen Kartellbehörde“ zu
ersetzen.
bbb) In Satz 5 sind die Wörter „dem Bundeskartellamt“ durch die
Wörter „der zuständigen Kartellbehörde“ und die Wörter „das
Bundeskartellamt“ durch die Wörter „die zuständige Kartellbehörde“
zu ersetzen.
bb) In Absatz 3 sind die Wörter „des Bundeskartellamts“ durch die Wörter
„der Kartellbehörden“ zu ersetzen.
c) In § 30 Absatz 1 sind die Wörter „des Bundeskartellamts“ durch die Wörter
„der zuständigen Kartellbehörde“ zu ersetzen.
d) In § 34 Nummer 3 sind die Wörter „das Bundeskartellamt“ durch die
Wörter „die zuständige Kartellbehörde“ zu ersetzen.
e) In § 35 Satz 2 sind die Wörter „das Bundeskartellamt“ durch die Wörter
„die zuständige Kartellbehörde“ zu ersetzen.
f) § 46 Absatz 2 ist wie folgt zu ändern:
aa) In Satz 1 sind die Wörter „das Bundeskartellamt“ durch die Wörter „die
zuständige Kartellbehörde“ zu ersetzen.
bb) In Satz 2 sind die Wörter „des Bundeskartellamts“ durch die Wörter
„der zuständigen Kartellbehörde“ zu ersetzen.
Begründung:
Im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen sind die Zuständigkeiten der
Kartellbehörden in den §§ 48 ff. GWB geregelt. Kartellbehörden sind demnach
das Bundeskartellamt und die nach Landesrecht zuständigen obersten Landesbehörden.
Da auch regionale Märkte für Agrar-, Fischerei- oder Lebensmittelerzeugnisse,
die nicht über das Gebiet eines Landes hinausreichen, betroffen sein können
und somit die Zuständigkeit der nach Landesrecht zuständigen obersten Landesbehörden
gegeben sein könnte, sollte nicht von vornherein alleinig von der
Zuständigkeit des Bundeskartellamtes ausgegangen werden. Um Überschnei-
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt.
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dungen in den Entscheidungen mit den Kartellbehörden zu vermeiden und eine
kohärente Rechtsanwendung zu gewährleisten, sollten die Regelungen im vorliegenden
Gesetzentwurf entsprechend angepasst werden.
Die Begrifflichkeit „Bundeskartellamt“ und „zuständige Kartellbehörde“ ist in
der Begründung des Regierungsentwurfs durchgehend anzupassen.
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt.
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Gegenäußerung der Bundesregierung
Die Bundesregierung äußert sich zu der Stellungnahme des Bundesrates wie folgt:
Zu Ziffer 2 (Artikel 1 (§ 19 AgrarOLkG):
Die Bundesregierung lehnt diese Änderung ab, weil sie die ihr zugrundeliegende Einschätzung
nicht teilt.
Zu Ziffer 3:
Die Bundesregierung lehnt diese Forderung ab. Mit der Aufnahme einer offenen Generalklausel
würde systematisch ein anderer Weg eingeschlagen, als die Richtlinie 2019/633 ihn
vorsieht.
Zu Ziffer 4:
Die Bundesregierung weist darauf hin, dass die Umsetzung eines solchen Verbots rechtssystematisch
nicht in das Agrarmarktstrukturgesetz gehören würde. Die Bundesregierung
prüft, ob ein Preiswerbeverbot für Fleisch rechtlich zulässig ist .
Zu Ziffer 5:
Die Bundesregierung teilt das Anliegen, die Position der Erzeuger in der Wertschöpfungskette
zu stärken. Sie wird alle Vorschläge hierzu unter rechtlichen und praktischen Gesichtspunkten
prüfen.
Zu Ziffer 6:
Die Bundesregierung hat diesen Aspekt bei der Erstellung des Gesetzentwurfs intensiv
geprüft und kommt zu einem anderen Ergebnis.
Zu Ziffer 7:
Die Bundesregierung teilt die Auffassung der Notwendigkeit eines wirksamen Wettbewerbsrechts
und sieht dies als ihre laufende Aufgabe. Sie weist in diesem Zusammenhang
aber darauf hin, dass schon nach derzeitiger Rechtslage vielfältige und wirksame Möglichkeiten
zum Schutz und zur Stärkung der Verhandlungsposition auf Erzeugerseite bestehen.
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt.
Zu Ziffer 8:
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Die Bundesregierung hat sich bereits mit der Frage der Beweislastumkehr auseinandergesetzt.
Es ist zum einen darauf zu verweisen, dass im Verwaltungsverfahren der Amtsermittlungs-grundsatz
gilt, der Lieferant also nicht mit der Beweisführungslast belastet ist. Zum
anderen ist in Erinnerung zu rufen, dass nach dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit das
Aufklärungsrisiko bei einem belastenden Eingriff grundsätzlich beim Staat liegt. Dieser
Grundsatz gilt im Bußgeldverfahren strikt: Wie im Strafrecht gilt die Unschuldsvermutung.
Das bedeutet, dass die Beweispflicht im Bußgeldverfahren bei der Behörde verbleiben
muss.
Zu Ziffer 9:
Die Bundesregierung sieht nach zwei Jahren praktischen Erfahrung eine Evaluierung der
Regelungen auf nationaler Ebene vor, um u. a. zu überprüfen, ob die bestehenden Regelungen
für die bezweckte Schutzwirkung zu Gunsten von Erzeugerinnen und Erzeugern
oder anderen Lieferantinnen und Lieferanten ausreichend sind oder ob Nachbesserungen
erforderlich sind.
Zu Ziffer 10:
Aus Sicht der Bundesregierung reicht das in § 15 AgrarOLkG-E enthaltene Verbot einseitiger
Vertragsänderungen aus, um einseitige Auflagen durch den Käufer zu verhindern.
Zu Ziffer 11:
Die Bundesregierung sieht keine Notwendigkeit, den Anwendungsbereich des Gesetzes auf
Verarbeitungsunternehmen zu erweitern. Der Begriff des „Lieferanten“ und der Begriff des
„Käufers“ erfassen Verarbeitungsunternehmen gleichermaßen.
Zu Ziffer 12:
Die Bundesregierung lehnt diese Forderung ab. Fokussierung auf eine Behörde
ist aus verfahrensökonomischen Gründen geboten. Die meisten in Frage stehenden
Handelspraktiken dürften bundesweit oder jedenfalls länderübergreifend
verbreitet sein. Eine parallele Zuständigkeit mehrerer Landeskartellbehörden
würde das Verfahren verzögern und Ineffizienzen schaffen.
Vorabfassung - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt.