Deutscher Bundestag Drucksache 19/26835
19. Wahlperiode 19.02.2021
Gesetzentwurf
der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Rehabilitierung der wegen einvernehmlicher
homosexueller Handlungen, wegen ihrer homosexuellen Orientierung
oder wegen ihrer geschlechtlichen Identität dienstrechtlich
benachteiligten Soldatinnen und Soldaten
A. Problem und Ziel
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sind bis in das Jahr 2000 hinein wegen
einvernehmlicher homosexueller Handlungen oder wegen ihrer homosexuellen
Orientierung systematisch dienstrechtlich benachteiligt worden. Mit Erlass des
Bundesministeriums der Verteidigung vom 13. März 1984 (P II 1 – 16-02-05/02)
wurden die Benachteiligungen, die bis hin zu Entlassungen führen konnten, nochmals
im Einzelnen festgelegt.
Soldatinnen und Soldaten der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen
Republik waren ebenfalls solchen dienstrechtlichen Nachteilen wegen homosexueller
Handlungen, wegen ihrer homosexuellen Orientierung oder wegen
ihrer geschlechtlichen Identität ausgesetzt.
Ziel des Gesetzgebungsvorhabens ist die Rehabilitierung derjenigen Soldatinnen
und Soldaten, die wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen wehrdienstgerichtlich
verurteilt worden sind oder wegen ihrer homosexuellen Orientierung
oder ihrer geschlechtlichen Identität die im Erlass vom 13. März 1984 aufgeführten
anderen dienstrechtlichen Benachteiligungen erlitten haben bzw. nach
damaliger Praxis einer Maßnahme vergleichbarer Intensität ausgesetzt waren.
Ausgenommen sind hiervon solche Handlungen, die auch heute noch ein Dienstvergehen
darstellen. Mit dem Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach
dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten
Personen vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2443) wurde anerkannt, dass das
strafrechtliche Verbot einvernehmlicher homosexueller Handlungen nach heutigem
Verständnis in besonderem Maße grundrechtswidrig gewesen ist. Das Gleiche
gilt für die wehrdienstgerichtlichen Verurteilungen und andere dienstrechtliche
Benachteiligungen wegen homosexueller Handlungen, der homosexuellen
Orientierung oder wegen der geschlechtlichen Identität.
B. Lösung
Der Entwurf sieht eine Rehabilitierung der von dienstrechtlichen Nachteilen Betroffenen
vor: Insbesondere sollen wehrdienstgerichtliche Verurteilungen, die als
Drucksache 19/26835 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Dienstpflichtverletzung einvernehmliche homosexuelle Handlungen zum Gegenstand
hatten, die heute kein Dienstvergehen mehr darstellen, kraft Gesetzes aufgehoben
werden. Bei anderen dienstrechtlichen Benachteiligungen wegen solcher
Handlungen soll durch Verwaltungsakt festgestellt werden, dass sie Unrecht gewesen
sind. Außerdem soll in beiden Fällen eine Rehabilitierungsbescheinigung
ausgestellt werden.
Die Rehabilitierung ist für jede Betroffene und jeden Betroffenen mit einer symbolischen
Entschädigung für die durch die Verurteilung oder durch die sonstige
dienstrechtliche Benachteiligung erlittene Diskriminierung verbunden. Vorgesehen
ist eine pauschalierte Entschädigung, die eine zügige Bearbeitung der Entschädigungsansprüche
ermöglicht.
Mit der Anerkennung des durch die Diskriminierungen hervorgerufenen Leids
wird ein Zeichen gesellschaftlicher Solidarität gesetzt.
C. Alternativen
Alternativ käme ein Gesetz, beschränkt auf die Aufhebung der wehrdienstgerichtlichen
Verurteilungen, in Betracht. Dies wäre jedoch für die Erreichung des angestrebten
Ziels unzureichend. Zur gesellschaftlichen Anerkennung des Leids infolge
von Diskriminierungen würde eine bloße Aufhebung der wehrdienstgerichtlichen
Urteile und eine Entschuldigung nicht ausreichen. Um ein spürbares Zeichen
der Rehabilitation zu setzen, sind auch die Anerkennung des Leids, das
durch andere dienstrechtliche Maßnahmen hervorgerufen worden ist, sowie eine
symbolische Entschädigung in Geld notwendig.
D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Durch den Entwurf sind für den Bund Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
in Höhe von maximal 6 Millionen Euro zu erwarten. Bei diesem Betrag
handelt es sich um die geschätzte Gesamtsumme für die vorgesehene Individualentschädigung,
wobei von höchstens 1 000 Betroffenen, die eine Entschädigung
erhalten und einer Laufzeit von fünf Jahren für das Vorhaben ausgegangen wird.
Der Mehrbedarf soll im Einzelplan 14 ausgeglichen werden.
Der Mehrbedarf an Sach- und Personalmitteln durch die Einrichtung der Rehabilitierungs-
und Entschädigungsstelle soll finanziell und stellenmäßig im Einzelplan
14 ausgeglichen werden.
Für die Länder und Gemeinden sind Haushaltsausgaben (ohne Erfüllungsaufwand)
nicht zu erwarten.
E. Erfüllungsaufwand
E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger
Für Bürgerinnen und Bürger entsteht ein einmaliger Erfüllungsaufwand in Höhe
von 1 840 Stunden.
E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft
Das Regelungsvorhaben hat keine Auswirkungen auf den Erfüllungsaufwand der
Wirtschaft.
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/26835
Davon Bürokratiekosten aus Informationspflichten
Keine.
E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung
Für die Verwaltung des Bundes entsteht beim Bundesministerium der Verteidigung
ein Personalaufwand in Höhe von insgesamt 1,206 Millionen Euro verteilt
auf fünf Jahre sowie einmalige Sachkosten in Höhe von knapp 300 000 Euro.
F. Weitere Kosten
Den Ländern entstehen weitere Kosten durch die Befassung der Verwaltungsgerichte
mit Streitigkeiten über den Entschädigungsanspruch. Diese Tätigkeiten unterfallen
dem traditionellen Kernbereich der Rechtsprechung. Die jährlichen Kosten
für die Länder dürften im geringfügigen Bereich liegen.
Auswirkungen auf Einzelpreise und das allgemeine Preisniveau, insbesondere auf
das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/26835
BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND Berlin, 19. Februar 2021
DIE BUNDESKANZLERIN
An den
Präsidenten des
Deutschen Bundestages
Herrn Dr. Wolfgang Schäuble
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Sehr geehrter Herr Präsident,
hiermit übersende ich den von der Bundesregierung beschlossenen
Entwurf eines Gesetzes zur Rehabilitierung der wegen einvernehmlicher
homosexueller Handlungen, wegen ihrer homosexuellen Orientierung
oder wegen ihrer geschlechtlichen Identität dienstrechtlich
benachteiligten Soldatinnen und Soldaten
mit Begründung und Vorblatt (Anlage 1).
Ich bitte, die Beschlussfassung des Deutschen Bundestages herbeizuführen.
Federführend ist das Bundesministerium der Verteidigung.
Die Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gemäß § 6 Absatz 1 NKRG
ist als Anlage 2 beigefügt.
Der Bundesrat hat in seiner 1000. Sitzung am 12. Februar 2021 beschlossen, gegen
den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen
zu erheben.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angela Merkel
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/26835
Entwurf eines Gesetzes zur Rehabilitierung der wegen einvernehmlicher
homosexueller Handlungen, wegen ihrer homosexuellen Orientierung
oder wegen ihrer geschlechtlichen Identität dienstrechtlich
benachteiligten Soldatinnen und Soldaten
Vom ...
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Gesetz zur Rehabilitierung der wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen,
wegen ihrer homosexuellen Orientierung oder wegen ihrer geschlechtlichen Identität
dienstrechtlich benachteiligten Soldatinnen und Soldaten
(SoldRehaHomG)
§ 1
Rehabilitierung
Anlage 1
(1) Vor dem 3. Juli 2000 ergangene wehrdienstgerichtliche Urteile werden insoweit aufgehoben, als sie
einvernehmliche homosexuelle Handlungen zum Gegenstand haben. Dies gilt nicht für solche Handlungen, die
auch am … [einsetzen: Datum des Inkrafttretens des Gesetzes] noch ein Dienstvergehen darstellen.
(2) Ist jemand als Soldatin oder Soldat oder als Reservistin oder Reservist der Bundeswehr vor dem 3. Juli
2000 wegen der in Absatz 1 genannten Handlungen, wegen homosexueller Orientierung oder wegen ihrer oder
seiner geschlechtlichen Identität dienstrechtlich nicht nur unerheblich benachteiligt worden, so wird festgestellt,
dass die Benachteiligungen aus heutiger Sicht Unrecht waren. Eine nicht unerhebliche Benachteiligung liegt vor,
wenn die Soldatin oder der Soldat oder die Reservistin oder der Reservist
1. aus dem Dienst entlassen worden ist,
2. nicht mehr befördert oder nicht mehr mit höherwertigen Aufgaben betraut worden ist,
3. nicht mehr in einer Dienststellung als unmittelbare Vorgesetzte oder unmittelbarer Vorgesetzter in der
Truppe verblieben ist,
4. in ihre oder seine frühere Laufbahn zurückgeführt worden ist oder
5. nach damaliger Praxis einer Maßnahme vergleichbarer Intensität ausgesetzt war.
(3) Für frühere Soldatinnen und Soldaten der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik
gilt Absatz 2 entsprechend.
(4) Über die Regelungen dieses Gesetzes hinaus entfalten die Aufhebung nach Absatz 1 und die Feststellung
nach Absatz 2 keine Rechtswirkungen.
Drucksache 19/26835 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
§ 2
Verfahren; Rehabilitierungsbescheinigung
(1) Das Bundesministerium der Verteidigung stellt auf Antrag fest, ob ein Urteil nach § 1 Absatz 1 aufgehoben
worden ist oder ob eine Benachteiligung nach § 1 Absatz 2 vorliegt. Über die Feststellungen nach Satz 1
wird eine Rehabilitierungsbescheinigung erteilt.
(2) Für die Feststellung nach Absatz 1 Satz 1 genügt die Glaubhaftmachung einer Verurteilung nach § 1
Absatz 1 oder einer anderen dienstrechtlichen Benachteiligung nach § 1 Absatz 2. Insbesondere kann die Abgabe
einer Versicherung an Eides statt verlangt werden. Für die Abnahme einer Versicherung an Eides statt ist das
Bundesministerium der Verteidigung zuständig.
(3) Wer auf Grund eines Urteils nach § 1 Absatz 1 oder kraft Gesetzes infolge einer Benachteiligung nach
§ 1 Absatz 2 seinen Dienstgrad in der Bundeswehr verloren hat, erhält auf Antrag die Erlaubnis, diesen wieder zu
führen.
(4) Antragsberechtigt sind
1. die betroffene Person,
2. nach dem Tod der betroffenen Person folgende Angehörige:
a) die Ehegattin oder der Ehegatte,
b) die oder der Verlobte,
c) die Eltern,
d) die Kinder und
e) die Geschwister.
Satz 1 Nummer 2 gilt nicht für den Antrag nach Absatz 3.
(5) Für das Verfahren werden keine Gebühren und Auslagen erhoben.
§ 3
Entschädigung; Entschädigungsverfahren
(1) Die rehabilitierte Person erhält auf Antrag eine Entschädigung in Geld aus dem Bundeshaushalt.
(2) Die Entschädigung beträgt
1. 3 000 Euro für jedes nach § 1 Absatz 1 aufgehobene Urteil und
2. einmalig 3 000 Euro für Benachteiligungen nach § 1 Absatz 2.
(3) Der Antrag auf Entschädigung ist innerhalb einer Ausschlussfrist von fünf Jahren nach dem … [einsetzen:
Datum des Inkrafttretens dieses Gesetzes] beim Bundesministerium der Verteidigung zu stellen. Das Bundesministerium
der Verteidigung setzt die Entschädigung durch Verwaltungsakt fest.
(4) Ein Anspruch auf eine Entschädigung nach Absatz 1 besteht nicht, soweit von einer öffentlichen Stelle
für denselben Sachverhalt bereits eine Entschädigung gezahlt wurde.
(5) Der Anspruch auf Entschädigung ist nicht pfändbar, nicht übertragbar und nicht vererbbar. Die Entschädigung
wird nicht auf Sozialleistungen angerechnet.
(6) Für das Entschädigungsverfahren werden keine Kosten erhoben.
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/26835
§ 4
Rechtsweg
Für Streitigkeiten nach diesem Gesetz ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
§ 5
Außerkrafttreten
Das Gesetz tritt am 31. Dezember 2040 außer Kraft.
Artikel 2
Änderung des Einkommensteuergesetzes
§ 3 Nummer 23 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Oktober 2009
(BGBl. I S. 3366, 3862), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 12. August 2020 (BGBl. I S. 1879) geändert
worden ist, wird wie folgt gefasst:
„23. Leistungen nach
a) dem Häftlingshilfegesetz,
b) dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz,
c) dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz,
d) dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz,
e) dem Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher
homosexueller Handlungen verurteilten Personen und
f) dem Gesetz zur Rehabilitierung der wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen, wegen ihrer
homosexuellen Orientierung oder wegen ihrer geschlechtlichen Identität dienstrechtlich benachteiligten
Soldatinnen und Soldaten;“.
Artikel 3
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Drucksache 19/26835 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Begründung
A. Allgemeiner Teil
I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen
Ziel des Gesetzgebungsvorhabens ist die Rehabilitierung von (früheren) Soldatinnen und Soldaten, die wegen
einvernehmlicher homosexueller Handlungen, die heute kein Dienstvergehen mehr darstellen, wegen ihrer homosexuellen
Orientierung oder wegen ihrer geschlechtlichen Identität in der Bundeswehr oder der Nationalen Volksarmee
der Deutschen Demokratischen Republik dienstrechtliche Nachteile erlitten haben.
Gesellschaftliche und auch berufliche Diskriminierung von Menschen wegen ihrer homosexuellen Orientierung
war in der Vergangenheit in vielen Bereichen verbreitet. In den deutschen Streitkräften wurde die Benachteiligung
von Homosexuellen bis ins Jahr 2000 jedoch offiziell praktiziert und angewiesen mit der Begründung, dass homosexuelle
Neigungen die dienstliche Autorität als Vorgesetzte minderten und die Disziplin der Truppe gefährdeten.
Vor diesem Hintergrund besteht ein besonderer Anlass, die hiervon Betroffenen gesondert zu rehabilitieren.
Aus heutiger Sicht ist die damals geschehene Benachteiligung der betroffenen Soldatinnen und Soldaten in besonderem
Maße grundrechtswidrig; sie bedürfen daher der Rehabilitierung.
II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs
Der Entwurf sieht eine Rehabilitierung homosexueller Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sowie der Nationalen
Volksarmee der DDR vor, die wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen, die heute kein
Dienstvergehen mehr darstellen, wegen ihrer homosexuellen Orientierung oder wegen ihrer geschlechtlichen
Identität erhebliche dienstrechtliche Nachteile erlitten haben. Hierzu werden insbesondere wehrdienstgerichtliche
Verurteilungen kraft Gesetzes aufgehoben, soweit sie wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen ergangen
sind, die heute kein Dienstvergehen mehr darstellen.
Auch in Ansehung des Rechtsstaatsprinzips und des Prinzips der Gewaltenteilung können die betreffenden Verurteilungen
angesichts der hier gegebenen ganz besonderen Konstellation vom Gesetzgeber ausnahmsweise aufgehoben
werden. Gesetze, die in die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen eingreifen, berühren den Grundsatz
der Gewaltenteilung (BVerfGE 72, 302, 328). Die Generalkassation nachkonstitutioneller Urteile durch den Gesetzgeber
ist eine Maßnahme, die in einem Rechtsstaat besonderer Rechtfertigung bedarf (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 8. März 2006 – 2 BvR 486/05 –, RdNr. 75). Sie ist nur ausnahmsweise möglich, wenn besonders gewichtige,
den Erwägungen der Rechtssicherheit übergeordnete Gründe dazu Anlass geben.
In den hier betroffenen Fällen liegen derartige besondere Gründe vor, welche ausnahmsweise die Belange der
Rechtssicherheit überwiegen.
Die Betätigung der homosexuellen Orientierung unterfällt dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Artikel
2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes [GG]) und dem Recht auf Achtung des
Privatlebens aus Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Das Anknüpfen benachteiligender Maßnahmen
an die Betätigung der homosexuellen Orientierung ist daher als in besonderem Maße grund- und menschenrechtswidrig
anzusehen.
Ebenso wie die frühere gesetzgeberische Kriminalisierung und die daraus resultierende Strafverfolgung sind aus
heutiger Sicht auch die einschlägigen Verurteilungen durch Wehrdienstgerichte in besonderem Maße grundrechtswidrig.
Sie haben nicht nur die allgemeine Handlungsfreiheit eingeschränkt; die homosexuelle Orientierung
ist vielmehr existentieller Bestandteil der menschlichen Persönlichkeit, so dass diejenigen in ganz besonders
schwerer Weise betroffen sind, die nur wegen der Betätigung ihrer Veranlagung disziplinarrechtliche (oder sonstige
dienstliche) Konsequenzen erdulden mussten. Disziplinarurteile konnten de facto schwerwiegendere Konsequenzen
für den Betroffenen haben als Strafurteile.
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 11 – Drucksache 19/26835
Strafrechtliche und disziplinarrechtliche Verurteilungen sind zudem vielfältig miteinander verknüpft. Eine strafrechtliche
Verurteilung kann unter Umständen die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme unmöglich machen;
andererseits kann bereits die Verwirklichung einer Straftat als eine Dienstpflichtverletzung zu bewerten und somit
als Dienstvergehen zu ahnden sein.
So wurde die Verwirklichung einer Straftat nach dem früheren § 175 StGB regelmäßig zugleich auch als Dienstpflichtverletzung
angesehen. Der Unwert einer strafgerichtlichen Verurteilung nach dem früheren § 175 StGB
war somit häufig untrennbar verbunden mit einem sachgleichen Disziplinarverfahren und einer entsprechenden
disziplinargerichtlichen Verurteilung.
Insbesondere Urteile auf Entfernung aus dem Dienstverhältnis oder auf Dienstgradherabsetzung – beides gerichtliche
Disziplinarmaßnahmen mit überwiegend reinigendem Charakter – ähneln aber nicht nur entsprechenden
strafrechtlichen Urteilen, sondern sind in der Praxis auch eng mit solchen verknüpft. Eine ausschließlich strafrechtliche
Rehabilitierung griffe daher in diesen Fällen zu kurz. Der Fortbestand solcher disziplinargerichtlichen
Entscheidungen soll den Betroffenen nicht länger zugemutet werden
Zudem handelt es sich bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen zwischen einsichtsfähigen Menschen um opferlose
Dienstpflichtverletzungen, so dass durch eine Aufhebung der disziplinargerichtlichen Entscheidungen die
Rechtssicherheit nicht beeinträchtigt wird, d. h. es ist nicht zu befürchten, dass sich ein Opfer durch die Aufhebung
eines Disziplinarurteils schutzlos gestellt sieht; auch insofern besteht vorliegend eine Ausnahmesituation.
Hiervon abzugrenzen sind die von diesem Entwurf nicht erfassten Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs
eines Kindes oder eines Jugendlichen, aber auch Fälle, in denen wegen des Abhängigkeitsverhältnisses, insbesondere
im Rahmen der militärischen Hierarchie, von einer Einvernehmlichkeit nicht ausgegangen werden kann.
Solche Verurteilungen werden durch das vorliegende Gesetz nicht in Frage gestellt.
Nach alldem handelt es sich im Hinblick auf die aus heutiger Sicht besondere Grund- und Menschenrechtswidrigkeit
der Verurteilung von Soldatinnen und Soldaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen, die
heute kein Dienstvergehen mehr darstellen, um besonders gewichtige Gründe, welche ausnahmsweise die Aufhebung
der betreffenden rechtskräftigen Entscheidungen durch Gesetz rechtfertigen.
Die Betroffenen sollen eine Rehabilitierungsbescheinigung sowie eine Geldentschädigung in Höhe von je
3 000 Euro für jede aufgehobene Verurteilung sowie einmalig für die genannten sonstigen Benachteiligungen
erhalten.
III. Alternativen
Alternativ käme ein Gesetz beschränkt auf die Aufhebung der wehrdienstgerichtlichen Verurteilungen in Betracht.
Dieser verkürzte Geltungsbereich wäre jedoch für die Erreichung des angestrebten Ziels unzureichend.
Zur gesellschaftlichen Anerkennung des Leids infolge erlittener Diskriminierungen würde eine bloße Aufhebung
der wehrdienstgerichtlichen Urteile und eine Entschuldigung nicht ausreichen. Um ein spürbares Zeichen der
Rehabilitation zu setzen, ist auch die Anerkennung des Leids, das durch andere dienstrechtliche Maßnahmen
hervorgerufen wurde, sowie eine symbolische Entschädigung in Geld notwendig.
IV. Gesetzgebungskompetenz
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt bezüglich Artikel 1 aus Artikel 73 Absatz 1 Nummer 1 und 8 GG.
Hinsichtlich Artikel 2 ergibt sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Artikel 105 Absatz 2 erste Alternative
GG, da das Aufkommen der Einkommensteuer zum Teil dem Bund zusteht.
Hinsichtlich der Individualentschädigung sieht der Entwurf eine Finanzierungsverantwortung des Bundes vor,
weil sich die Finanzierungskompetenz auch auf Artikel 104a Absatz 1 GG stützen lässt.
Drucksache 19/26835 – 12 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
V. Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen
Der Entwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik
Deutschland abgeschlossen hat, vereinbar.
VI. Gesetzesfolgen
1. Rechts- und Verwaltungsvereinfachung
Mit dem Entwurf sind Regelungen zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung nicht verbunden.
2. Nachhaltigkeitsaspekte
Der Entwurf steht im Einklang mit den Leitgedanken der Bundesregierung zur nachhaltigen Entwicklung im
Sinne der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Nach heutigen Maßstäben ist die Diskriminierung wegen einer
homosexuellen Orientierung oder wegen der geschlechtlichen Identität grundrechts- und menschenrechtswidrig.
Wegen des schwerwiegenden Verstoßes gegen Persönlichkeitsrechte der Betroffenen sind sowohl die Aufhebung
von disziplinarrechtlichen Urteilen als auch die Ausstellung einer Rehabilitierungsbescheinigung und die finanzielle
Entschädigung geeignet, den sozialen Zusammenhalt im Sinne der Managementregel Nummer 10 (Managementregeln
der Nachhaltigkeitsstrategie – Zwischenbericht des Umweltbundesamts, Stand 12/2017) zu fördern.
3. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Die für den Bund zu erwartenden Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand werden auf maximal 6 Millionen
Euro geschätzt.
Eine Schätzung des finanziellen Aufwands für die Entschädigung ist nur schwer möglich, da keine statistischen
Daten über die Zahl der Betroffenen vorliegen. Es liegt lediglich der Entwurf einer Studie des Zentrums für Militärgeschichte
und Sozialwissenschaften der Bundeswehr vor, deren Autor ohne Anspruch auf Vollständigkeit
die Archive auf entsprechende Fälle hin durchsucht hat. Zudem liegen dem Bundesministerium der Verteidigung
ca. zehn Anträge von Betroffenen vor.
Bei der Schätzung ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass sich etliche Betroffene mit den möglicherweise traumatischen
Erfahrungen nicht wieder befassen möchten und vermutlich auch schon einige Betroffene verstorben sind.
In der Zusammenschau dieser Betrachtung wird derzeit von höchstens 1 000 Fällen ausgegangen, in denen mit
einer Entschädigung zu rechnen ist.
Der Gesamtbetrag verteilt sich bei der in § 3 Absatz 3 festgelegten Antragsfrist von fünf Jahren auf durchschnittlich
1,2 Millionen Euro pro Jahr. Für die ersten Jahre dürfte allerdings eine wesentlich größere Mittelabfrage zu
erwarten sein als in den dann folgenden Jahren, wobei für das Haushaltsjahr 2021 auch der Zeitpunkt des Inkrafttretens
des Gesetzes zu beachten ist. Von folgenden Schätzwerten wird ausgegangen:
Jahr zu erwartende
Anträge
zu erwartende
Erledigungen
zu erwartende
Entschädigungszahlungen
2021 360 240 1 440 000 Euro
2022 380 260 1 560 000 Euro
2023 140 260 1 560 000 Euro
2024 80 160 960 000 Euro
2025 40 80 480 000 Euro
Durchschnitt 1 200 000 Euro
Der Mehrbedarf soll im Einzelplan 14 ausgeglichen werden.
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 13 – Drucksache 19/26835
4. Erfüllungsaufwand
Für die Verwaltung des Bundes entsteht durch das Gesetz ein Erfüllungsaufwand von insgesamt rund 1,2 Millionen
Euro verteilt auf fünf Jahre.
Sofern in diesem Abschnitt unter den Einzelpunkten keine quantifizierten Angaben gemacht werden, beruhen die
Grundannahmen und Schätzungen zum Erfüllungsaufwand auf Erfahrungen zu analog gelagerten Sachverhalten.
Durch die eingeschränkte Datenlage ist eine Abschätzung des Erfüllungsaufwands deutlich erschwert. Die Angaben
beruhen daher auf zahlreichen Annahmen und groben Schätzungen zu Fallzahlen. Generell können somit die
tatsächlichen Fälle stark nach unten oder oben von den angegebenen Zahlen abweichen.
Derzeit liegen keine statistischen Daten über die Anzahl der Betroffenen vor. In der Studie des Zentrums für
Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hat der Autor ohne Anspruch auf Vollständigkeit
die Archive auf entsprechende Fälle hin durchsucht und Zeitzeugeninterviews geführt. In der Zusammenschau
mit den nur vereinzelt vorliegenden, lückenhaften statistischen Erhebungen der Bundeswehr können für den Zeitraum
1956 bis 1969 jährlich ca. 45 gerichtliche Disziplinarmaßnahmen und für den Zeitraum ab 1970 jährlich
durchschnittlich fünf gerichtliche Disziplinarmaßnahmen wegen homosexueller Handlungen zu Grunde gelegt
werden. Hierbei kann nicht unterschieden werden zwischen einvernehmlichen homosexuellen Handlungen und
sexuellen Übergriffen. Auch unterhalb der Schwelle des Disziplinarrechts konnte Homosexualität zu gravierenden
dienstlichen Nachteilen führen, so dass hier von einer größeren Zahl von Betroffenen ausgegangen werden
kann.
Bei der Schätzung ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass sich etliche Betroffene mit den möglicherweise traumatischen
Erfahrungen nicht wieder befassen möchten und vermutlich auch schon einige Betroffene verstorben sind.
Dem Bundesministerium der Verteidigung liegen ca. zehn Anträge von Betroffenen vor.
In der Zusammenschau dieser Betrachtung wird derzeit von höchstens 1 000 Fällen ausgegangen, in denen mit
einer Entschädigung zu rechnen ist. Daneben werden auch Anträge bearbeitet werden müssen, bei denen eine
Rehabilitierung oder eine Entschädigung nicht in Betracht kommt, so dass für die weiteren Berechnungen von
einem tatsächlichen Antragsaufkommen von 1 200 ausgegangen wird.
a) Bürgerinnen und Bürger
Der Rehabilitierungs- und Entschädigungsanspruch setzt einen Antrag voraus, so dass für die Betroffenen als
Bürgerinnen und Bürger ein einmaliger Erfüllungsaufwand durch die Antragsstellung entsteht. Für die Ermittlung
des Erfüllungsaufwandes für die Bürgerinnen und Bürger wird mangels anderer Erfahrungen aus vergleichbaren
Prozessen auf die Zeitwerttabelle für Informationspflichten der Bürgerinnen und Bürger aus dem „Leitfaden zur
Ermittlung und Darstellung des Erfüllungsaufwands in Regelungsvorhaben der Bundesregierung“ von 2018 zurückgegriffen.
Es wird grundsätzlich ein Verfahren der mittleren Komplexität für die Bürgerinnen und Bürger
unterstellt. Lediglich für die Aktivität „Fachliche Beratung in Anspruch nehmen“ wurde auf Grund der bereits
bekannten Erfahrungswerte ein Zeitaufwand von 60 Minuten pro Fall zugrunde gelegt. Gemeinsam mit den Aktivitäten
„Sich mit der gesetzlichen Verpflichtung vertraut machen“, „Daten und Informationen sammeln und
zusammenstellen“, „Informationen und Daten aufbereiten“, „Formulare ausfüllen“, „Schriftstücke aufsetzen“,
„Informationen oder Daten an die zuständigen Stellen übermitteln“, „Unterlagen kopieren, abheften, abspeichern“
sowie durch die „Vorlage weiterer Informationen bei Behörden durch Rückfragen“ entsteht insgesamt ein Zeitaufwand
pro Fall von 92 Minuten. Bei den geschätzten 1 200 Anträgen verursacht dies für die Bürgerinnen und
Bürger einen einmaligen Erfüllungsaufwand von 110 400 Minuten bzw. 1 840 Stunden.
b) Wirtschaft
Das Regelungsvorhaben hat keine Auswirkungen auf den Erfüllungsaufwand der Wirtschaft.
c) Verwaltung
aa) Erfüllungsaufwand für den Bund
Es entsteht Sach- und Verwaltungsaufwand bei der einzurichtenden Rehabilitierungs- und Entschädigungsstelle.
Drucksache 19/26835 – 14 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Beim Bundesministerium der Verteidigung entsteht durch die Einrichtung der Rehabilitierungs- und Entschädigungsstelle
Personalaufwand.
Es wird unterstellt, dass die Beschäftigten insgesamt ca. 1 200 Fälle, in denen ein Antrag auf Entschädigung
und/oder Rehabilitation gestellt wird, zu bearbeiten haben werden.
Der Berechnung des Erfüllungsaufwandes werden gemäß der Lohnkostentabelle Verwaltung im „Leitfaden zur
Ermittlung und Darstellung des Erfüllungsaufwands in Regelungsvorhaben der Bundesregierung“ von 2018 folgende
Lohnkostensätze zugrunde gelegt:
für die Beschäftigten im mittleren Dienst 31,70 Euro je Stunde,
für die Beschäftigten im gehobenen Dienst43,40 Euro je Stunde,
für die Beschäftigten im höheren Dienst 65,40 Euro je Stunde.
Die Beschäftigten müssen sich zunächst mit den Vorgaben dieses Gesetzes und der entsprechenden Verfahrensanweisung
sowie den organisatorischen Abläufen vertraut machen. Dazu wird einmalig ein Zeitaufwand von
180 Minuten pro Beschäftigten veranschlagt.
Die Bearbeitung der Rechtsfragen sowie gerichtlicher Klagen wird über den gesamten Zeitraum durch den höheren
Dienst (hD) erfolgen. Die übrige Bearbeitung wird dem gehobenen Dienst (gD) zugewiesen werden können.
Die administrativen Aufgaben, die mit dem erhöhten Rechercheaufwand einhergehen, sowie die administrative
Unterstützung der Bearbeitung der Rehabilitations- und Entschädigungsanträge wird von Beschäftigten des mittleren
Dienstes (mD) wahrgenommen.
Die Einzelfallprüfung wird mit gewissem Aufwand verbunden sein. In jedem Einzelfall wird aufgrund vorher
einzuholender Einwilligungserklärungen in den Archiven nach noch zur Verfügung stehenden Dokumenten gesucht
werden müssen. Sodann wird rechtlich zu bewerten sein, ob Urteile wegen einvernehmlicher homosexueller
Handlungen ergangen sind, die heute kein Dienstvergehen mehr darstellen. Hierzu reicht es – anders als im Strafrecht
– nicht, den Tenor zu betrachten; vielmehr ergeben sich die einem Urteil zugrundeliegenden Dienstpflichtverletzungen
erst aus den Urteilsgründen, so dass diese im Einzelnen auszuwerten sind. Sind keine Unterlagen
mehr vorhanden, ist noch der Aufwand für die Einholung einer Versicherung an Eides statt zu berücksichtigen.
Die Bearbeitung der vorgetragenen sonstigen dienstrechtlichen Benachteiligungen wird mit einem erheblichen
Aufwand verbunden sein. Neben dem Aufwand für die Einholung der erforderlichen Einwilligungserklärungen
wird insbesondere der Rechercheaufwand in den Archiven nach noch zur Verfügung stehenden Dokumenten und
deren Auswertung signifikant sein. Sodann wird rechtlich zu bewerten sein, ob die homosexuelle Orientierung
oder die geschlechtliche Identität ursächlich für die Benachteiligung und ob diese die Erheblichkeitsschwelle
übersteigt.
Im Einzelnen werden folgende Tätigkeiten/Aufgaben mit folgendem durchschnittlich erforderlichen Zeitaufwand
pro Fall zu erledigen sein:
Tätigkeiten des mittleren Dienstes
Tätigkeit/Aufgabe
Daten im Prozess erfassen 15
Eingangsbestätigung oder fehlende Daten oder Informationen einholen 10
Anfordern von Stammdatensätzen, Personalunterlagen, disziplinarrechtlichen Unterlagen / Urteilen und Gesundheits- 40
Nachforschungen und Erinnerungen zu fehlenden Unterlagen 60
Zahlungen anweisen 10
Kopieren, verteilen, archivieren, dokumentieren 50
Statistische Daten erheben und pflegen 15
Zeitaufwand
(in Minuten)
Summe 200
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 15 – Drucksache 19/26835
Bei einem Zeitaufwand von etwa (1 200 Anträge × 200 Minuten pro Antrag = 240 000 Minuten =) 4 000 Stunden
und einem Lohnkostensatz von 31,70 Euro je Stunde ergibt sich ein Erfüllungsaufwand von 126 800 Euro für
fünf Jahre.
Tätigkeiten des gehobenen Dienstes
Tätigkeit/Aufgabe
Zeitaufwand
(in Minuten)
Beratung und Führung von Vorgesprächen mit Antragstellerinnen und Antragstellern 60
Formelle Prüfung, Daten und Informationen sichten und zusammenstellen, Vollständigkeitsprüfung 30
Auswerten von Stammdatensätzen, Personalunterlagen, disziplinarrechtlichen Unterlagen / Urteilen und Ge- 240
Inhaltliche Prüfungen und Bewertungen durchführen 250
Informationen abschließend aufbereiten 60
Summe 640
Bei einem Zeitaufwand von etwa (1 200 Anträge × 640 Minuten pro Antrag = 768 000 Minuten =) 12 800 Stunden
und einem Lohnkostensatz von 43,40 Euro je Stunde ergibt sich ein Erfüllungsaufwand von 555 520 Euro für
fünf Jahre.
Tätigkeiten des höheren Dienstes
Tätigkeit/Aufgabe
Zeitaufwand
(in Minuten)
Ergebnisse prüfen und rechtlich bewerten 240
Bescheid erstellen 90
Interne oder externe Besprechungen oder Gespräche durchführen 60
Summe 390
Bei einem Zeitaufwand von etwa (1 200 Anträge × 390 Minuten pro Antrag = 468 000 Minuten =) 7 800 Stunden
zuzüglich geschätzte 200 Stunden für etwaige Klageverfahren, also insgesamt 8 000 Stunden, und einem Lohnkostensatz
von 65,40 Euro je Stunde ergibt sich ein Erfüllungsaufwand von 523 200 Euro für fünf Jahre.
Insgesamt werden vier Beschäftigte mit der Umsetzung dieses Gesetzes betraut werden, davon ein Beschäftigter
des höheren Dienstes, zwei Beschäftigte des gehobenen Dienstes sowie ein Beschäftigter des mittleren Dienstes.
Für die Einarbeitung der Beschäftigten entsteht ein einmaliger Erfüllungsaufwand von (3 Stunden × 31,70 Euro
je Stunde [mD] + 6 Stunden × 43,40 Euro je Stunde [gD]+ 3 Stunden × 65,40 Euro je Stunde [hD] =)
551,70 Euro.
Insgesamt entsteht damit ein Personalaufwand von 1 205 520 Euro + 551,70 Euro = 1 206 071,70 Euro für fünf
Jahre.
Für die Einrichtung der Rehabilitierungs- und Entschädigungsstelle entsteht ein einmaliger Sachaufwand von
296 050 Euro, der über einen Zeitraum von fünf Jahren verteilt anfällt.
bb) Erfüllungsaufwand für die Länder
Den Ländern entsteht kein Erfüllungsaufwand.
5. Weitere Kosten
Den Ländern entstehen weitere Kosten durch eine mögliche Befassung der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit Streitigkeiten
über den Entschädigungsanspruch. Es wird angenommen, dass die Gerichte nur mit Streitigkeiten über
den Entschädigungsanspruch im unteren zweistelligen Bereich verteilt auf fünf Jahre betraut sein werden. Die
weiteren Kosten für die Länder dürften daher pro Jahr im geringfügigen Bereich liegen.
Drucksache 19/26835 – 16 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
6. Weitere Gesetzesfolgen
Der Entwurf hat gleichstellungspolitische Auswirkungen: Er betrifft die dienstrechtliche Gleichstellung von Menschen,
die wegen ihrer homosexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität in der Bundeswehr bis
zum Jahr 2000 und in der Nationalen Volksarmee bis zu deren Ende im Jahr 1990 diskriminiert wurden.
Verbraucherpolitische und demografische Auswirkungen der Regelungen sind nicht ersichtlich.
VII. Befristung; Evaluierung
Das Gesetz ist bis zum Ende des Jahres 2040 befristet.
Eine Evaluierung erfolgt zwei Jahre nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes. Das Gesetz behandelt eine historische
Sonderkonstellation und ist auf möglichst zügige, zeitlich begrenzte Abwicklung von Rehabilitierungs- und Entschädigungsansprüchen
angelegt. Gleichwohl soll in zwei Jahren untersucht werden, ob und inwieweit der Erfüllungsaufwand
der Verwaltung sich entsprechend der hier getroffenen Annahmen verwirklicht hat. Kriterien sind
die Antragszahlen, die Anzahl der geleisteten Entschädigungen sowie der erforderliche Zeit- und Sachaufwand.
Die hierfür erforderlichen Daten werden unter Berücksichtigung der Erfahrungen im Rahmen der Administration
dieses Gesetzes von der damit betrauten Rehabilitierungs- und Entschädigungsstelle erhoben.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1 (Gesetz zur Rehabilitierung der wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen, wegen
ihrer homosexuellen Orientierung oder wegen ihrer geschlechtlichen Identität dienstrechtlich
benachteiligten Soldatinnen und Soldaten)
Zu § 1 (Rehabilitierung)
Homosexuelle Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr hatten seit Bestehen der Bundeswehr mit dienstrechtlichen
Nachteilen zu kämpfen, die auch nach der Entkriminalisierung einvernehmlicher homosexueller Handlungen
unter Erwachsenen im Jahr 1969 fortbestanden.
Ein Erlass aus dem Jahr 1984 (BMVg – P II 1 – 16-02-05/02) verdeutlicht diese für die Betroffenen schwierige
Situation. Der Erlass hebt hervor, dass ein Offizier oder ein Unteroffizier „mit homosexuellen Neigungen“ damit
zu rechnen habe, nicht mehr befördert oder mit höherwertigen Aufgaben betraut zu werden. Ferner könne er u. a.
wegen schwerer Einbußen seiner Autorität nicht mehr in einer Dienststellung als unmittelbarer Vorgesetzter in
der Truppe (z. B. als Gruppenführer, Zugführer, Kompaniechef oder Kommandeur) verbleiben. Er müsse eine
Verwendung erhalten, in der er nicht mehr unmittelbarer Vorgesetzter vorwiegend jüngerer Soldaten sei. Weiterhin
könne in Fällen, in denen ein Soldat auf Zeit wegen homosexueller Handlungen disziplinar gemaßregelt oder
strafrechtlich verurteilt worden ist, seine Entlassung während der ersten vier Dienstjahre verfügt werden, wenn
das Verbleiben im Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden
würde (§ 55 Absatz 5 des Soldatengesetzes). Wegen mangelnder Eignung als Berufssoldat könne auch ein
Leutnant bis zum Ende des dritten Offizierdienstjahres entlassen werden (§ 46 Absatz 4 des Soldatengesetzes in
der damals geltenden Fassung). Schließlich könne bei schwerem disziplinaren Fehlverhalten ein Truppendienstgericht
einen Berufssoldaten oder Soldaten auf Zeit aus dem Dienstverhältnis entfernen (§ 58 der Wehrdisziplinarordnung
in der damals geltenden Fassung, heute § 54 der Wehrdisziplinarordnung). Ein Offizieranwärter, der
sich z. B. wegen gleichgeschlechtlicher Neigungen nicht zum Offizier eigne, solle gemäß § 55 Absatz 4 des Soldatengesetzes
entlassen werden. Sei er als Unteroffizier zur Laufbahn der Offiziere zugelassen worden, so solle
er allerdings nicht entlassen, sondern in seine frühere Laufbahn zurückgeführt werden, es sei denn, er begehre
seine Entlassung nach § 55 Absatz 3 des Soldatengesetzes; einem solchen Begehren könne dann stattgegeben
werden. Bei disziplinarrechtlich erheblicher gleichgeschlechtlicher Betätigung sei auch weiterhin generell auf
eine Entfernung aus dem Dienstverhältnis hinzuwirken – auch dann, wenn kein Tatbestand des § 175 StGB
schuldhaft verwirklicht worden sei. Dies solle zumindest so lange gelten, bis die gesellschaftliche Entwicklung
gegebenenfalls eines Tages zum Abbau bestehender Vorurteile gegenüber Homosexuellen führen werde.
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 17 – Drucksache 19/26835
Der 3. Juli 2000 markiert das formelle Ende der Diskriminierung homosexueller Soldatinnen und Soldaten in der
Bundeswehr. An diesem Tag wurde der oben genannte Erlass aufgehoben (BMVg – PSZ III 1 – 16-02-05).
Zu Absatz 1
§ 1 Absatz 1 beschreibt einen wesentlichen und schwerwiegenden Fall der Diskriminierungen homosexueller Soldatinnen
und Soldaten der Bundeswehr einschließlich derjenigen, die homosexuelle Handlungen vorgenommen
haben, ohne homosexuell zu sein. Soldaten wurden zum einen wehrdienstgerichtlich belangt, wenn sie strafgerichtlich
wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilt worden waren (zu den einschlägigen Tatbeständen
vgl. § 1 Absatz 1 des Gesetzes zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen
einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen vom 17. Juli 2017 [BGBl. I S. 2443]
[StrRehaHomG]). Zum anderen konnten sie jedoch auch wegen Handlungen, die nicht strafrechtlich relevant waren,
disziplinargerichtlich zur Rechenschaft gezogen werden.
Festgelegt wird, dass wehrdienstgerichtliche Verurteilungen aufgehoben werden, soweit ihnen einvernehmliche
homosexuelle Handlungen zugrunde liegen, die heute kein Dienstvergehen mehr darstellen. Wenn durch die homosexuelle
Handlung zugleich eine weitere Dienstpflichtverletzung begangen wurde, die auch bei heterosexuellem
Verhalten zu sanktionieren gewesen wäre (z. B. Verletzung der Pflicht zur Dienstleistung durch Vornahme
einer [homo-]sexuellen Handlung während der Dienstzeit), wird das Urteil insoweit nicht aufgehoben. Damit wird
sichergestellt, dass homosexuelle Handlungen im Vergleich zu heterosexuellen Handlungen nicht privilegiert
werden.
Urteile, in denen noch weitere, mit der homosexuellen Handlung nicht in Verbindung stehende Dienstpflichtverletzungen
abgeurteilt wurden, werden insoweit aufgehoben, als sie auf der einvernehmlichen homosexuellen
Handlung beruhen.
Zu Absatz 2
Absatz 2 erfasst Fälle, in denen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr auf Grund der damaligen Praxis, konkretisiert
durch den Erlass vom 13. März 1984, wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen, wegen ihrer
homosexuellen Orientierung oder wegen der geschlechtlichen Identität auf andere Weise als nach Absatz 1 nicht
unerhebliche dienstrechtliche Nachteile erlitten haben. Die in Absatz 2 Satz 2 aufgezählten, sich aus dem Erlass
vom 13. März 1984 ergebenden Benachteiligungstatbestände sind dem Rehabilitierungsgedanken folgend zugunsten
der betroffenen Person weit auszulegen.
In der praktischen Anwendung des Erlasses kam es über den Wortlaut hinaus zu vielgestaltigen Benachteiligungen,
die in ihren Auswirkungen auf die Betroffenen teilweise einen vergleichbaren Grad an Diskriminierung aufweisen
konnten wie die in Satz 2 Nummer 1 bis 4 genannten Fallgruppen. Unter diesen Voraussetzungen soll
auch hierfür eine Rehabilitierung erfolgen. Dies wird mit der Fallgruppe in Satz 2 Nummer 5 erreicht. Die Bezugnahme
auf die damalige Praxis stellt dabei einerseits klar, dass andere Formen von Diskriminierung eine vergleichbare
Wirkung gehabt haben müssen und andererseits als Ausfluss der dem Erlass zugrundeliegenden damaligen
Positionierung des Dienstherrn in Bezug auf die spezifische militärische Ordnung zu qualifizieren sein müssen,
um als nicht unerhebliche Benachteiligung angesehen werden zu können. Hierunter können beispielsweise
Versetzungen in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit, Versetzungen gegen den Willen in unattraktive Verwendungen,
Verwehrung der Weiterverpflichtung als Zeitsoldat oder die Verwehrung der Ernennung zum Berufssoldaten
fallen. Hier wird jeweils eine Einzelfallprüfung unvermeidbar sein, wobei wegen der damaligen Erlasslage
ein zu strenger Maßstab nicht angebracht sein dürfte. Nicht auf den Dienstherrn zurückgehende Diskriminierungen
fallen nicht darunter.
Der Begriff der homosexuellen Orientierung im Sinne dieses Gesetzes umfasst auch den homosexuellen Anteil
einer bisexuellen Orientierung.
Der Begriff der geschlechtlichen Identität im Sinne dieses Gesetzes umfasst insbesondere transsexuelle oder diverse
Menschen. Diskriminierungen wegen des Geschlechts an sich werden von diesem Gesetz allerdings nicht
erfasst.
Insbesondere in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden das Auseinanderfallen des körperlichen
Erscheinungsbilds bzw. der personenstandsrechtlichen Zuordnung und der selbstempfundenen Ge-
Drucksache 19/26835 – 18 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
schlechtszugehörigkeit gesellschaftlich, rechtlich und medizinisch als starke Abweichung von der Norm wahrgenommen.
Es ist im Kontext der damaligen gesellschaftlichen Anschauungen nicht auszuschließen, dass es zu aus
heutiger Sicht nicht sachgerechten Benachteiligungen wegen der geschlechtlichen Identität gekommen ist. Dies
kann nur im Einzelfall geprüft werden.
Von der Regelung werden auch Reservistinnen und Reservisten erfasst, die außerhalb eines Wehrdienstverhältnisses
wegen der in Absatz 1 genannten Handlungen oder wegen der sexuellen Identität nicht nur unerheblich
dienstrechtlich benachteiligt wurden (z. B. Verweigerung einer Beförderung zu einem Reservedienstgrad). Das
Nichtheranziehen zu einer Wehrübung stellt für sich genommen jedoch keine dienstrechtliche Benachteiligung,
sondern lediglich eine Befreiung von einer Pflichtenstellung dar (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28. Oktober
2015 – 2 C 23.14 –).
Zu Absatz 3
Nach Recherchen des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr gab es auch in
der Nationalen Volksarmee ähnliche Benachteiligungen für homosexuelle Soldatinnen und Soldaten wie in der
Bundeswehr. In der Musterungsanordnung von 1987 waren in Kapitel 7 Absatz 9 (nach dem Punkt Alkoholismus)
die Regeln im Umgang mit Homosexualität aufgeführt: „Homosexuelle sind als diensttauglich zu begutachten.
Sie sind jedoch als Soldaten auf Zeit, Unteroffiziere auf Zeit, Offiziere auf Zeit, Berufsunteroffiziere, Fähnriche
und Berufsoffiziere nicht geeignet (Ministerium für Nationale Verteidigung, Anordnung 060/9/002 über die Arbeit
der Gutachterärztekommission der NVA auf dem Gebiet der militärmedizinischen Begutachtung vom 5. August
1987, hier S. 110).
Auch sonstige den Fällen der Bundeswehr vergleichbare Diskriminierungen (§ 1 Absatz 2) in der NVA sollen
nach diesem Gesetz rehabilitiert werden können.
Zu Absatz 4
Das Gesetzgebungsvorhaben dient ausschließlich der Rehabilitierung der Betroffenen. Nicht berührt sind sonstige,
insbesondere dienstrechtliche Rechtsfolgen einer Verurteilung oder sonstiger dienstrechtlicher Maßnahmen,
namentlich der Verlust der beruflichen Stellung, wie z. B. nach § 48 des Soldatengesetzes. Vor diesem Hintergrund
findet – anders als bei der Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 52 des Soldatengesetzes – keine (rückwirkende)
(Wieder-)Herstellung des Zustands, der ohne die Benachteiligung bestünde, statt.
Daher wird ausdrücklich geregelt, dass die Rehabilitierung, insbesondere die Aufhebung von Urteilen und die
Feststellungen nach § 1 Absatz 2, über die Regelungen dieses Gesetzes hinaus keine Rechtswirkungen entfaltet.
Schadensersatzansprüche bestehen nicht.
Zu § 2 (Verfahren; Rehabilitierungsbescheinigung)
Zu Absatz 1
Den nach diesem Gesetz Rehabilitierten wird vom Bundesministerium der Verteidigung eine Rehabilitierungsbescheinigung
ausgestellt, mit der die Feststellung der gesetzlichen Aufhebung der entsprechenden wehrdienstgerichtlichen
Urteile bzw. die Feststellung der Unrechtmäßigkeit der Benachteiligung bestätigt wird.
Zu Absatz 2
Es ist davon auszugehen, dass die Akten zu wehrdienstgerichtlichen Verurteilungen sowie Personalakten mit Versetzungs-
und Entlassungsverfügungen oder sonstigen Inhalten zum Teil wegen Ablaufs der Aufbewahrungsfristen
vernichtet sind und wohl auch nur wenige Betroffene eine Ausfertigung ihrer Urteile aufbewahrt haben. Daher
soll für eine Feststellung, dass ein Rehabilitierungstatbestand nach § 1 vorliegt, die Glaubhaftmachung durch die
Antragstellerin oder den Antragsteller genügen. Dies bezieht sich sowohl auf die Ursächlichkeit der homosexuellen
Handlung, der homosexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität für die Benachteiligung als
auch auf die Benachteiligung selbst.
Die damit vorgenommene Absenkung des Beweismaßes erspart den Betroffenen, den vollen Beweis für das Vorliegen
eines Rehabilitierungstatbestands führen zu müssen, insbesondere wenn keine Unterlagen oder Zeugen
mehr zur Verfügung stehen. Sie brauchen daher z. B. nicht gegenüber der Bundeswehr, die sie einst benachteiligt
hatte, den vollen Beweis für entstandene Schäden zu erbringen. Dies wäre auch wegen des erheblichen Zeitablaufs
regelmäßig kaum leistbar. Ein solches Ergebnis wäre mit dem angestrebten Rehabilitierungsziel nicht vereinbar.
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 19 – Drucksache 19/26835
Als Mittel der Glaubhaftmachung kommt beispielsweise die Vorlage von Kopien früherer Urteile, Personalverfügungen,
medizinischen Gutachten, schriftlichen Zeugenaussagen oder sonstigen Schriftstücken, sofern sie beim
Betroffenen noch vorhanden sein sollten, in Betracht. Die Versicherung an Eides statt ist ebenfalls zugelassen,
allerdings beschränkt auf die zu rehabilitierende Person. Für die Abnahme im Rahmen des Rehabilitierungsverfahrens
soll das Bundesministerium der Verteidigung zuständig sein.
Eine falsche Versicherung an Eides statt ist strafbar: die vorsätzliche Begehung gemäß § 156 StGB, die fahrlässige
Begehung gemäß § 161 StGB. Sofern eine Rehabilitierungsbescheinigung durch falsche Angaben erlangt worden
sein sollte, ist sie rechtswidrig und kann zurückgenommen werden, § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes
(VwVfG).
Zu Absatz 3
Durch die Erlaubnis zum Führen des früheren Dienstgrads wird der Makel eines Dienstgradverlustes beseitigt.
Der Dienstgrad darf außerhalb eines Wehrdienstverhältnisses mit dem in § 2 des Reservistengesetzes genannten
Zusätzen geführt werden. Für frühere Soldatinnen und Soldaten der Nationalen Volksarmee findet diese Regelung
keine Anwendung, weil es aufgrund des Einigungsvertrages an einer Rechtsgrundlage zum Führen eines Dienstgrades
der Nationalen Volksarmee fehlt. Die für das Führen von NVA-Dienstgraden mit dem Zusatz „a. D.“ oder
„d. R.“ maßgeblichen Regelungen der Deutschen Demokratischen Republik (§§ 2 und 7 der Reservistenordnung)
sind nach dem Einigungsvertrag kein fortgeltendes Recht (Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet B Abschnitt II Nummer
2 § 4 Absatz 1). Die früher aus diesen Regelungen abzuleitenden Befugnisse sind damit von Gesetzes wegen
erloschen.
Zu Absatz 4
Die Rehabilitierungsbescheinigung kann zunächst von der betroffenen Person selbst beantragt werden. Antragsberechtigt
sollen aber auch die engsten Hinterbliebenen sein. Nach § 21 des Lebenspartnerschaftsgesetzes gelten
Regelungen zu Ehegatten für Lebenspartner entsprechend.
Die Erlaubnis zum Führen eines Dienstgrades (§ 2 Absatz 3) kann nur durch die betroffene Person selbst beantragt
werden.
Zu Absatz 5
Im behördlichen Verfahren zur Erlangung der Rehabilitierungsbescheinigung werden keine Gebühren und Auslagen
erhoben.
Zu § 3 (Entschädigung; Entschädigungsverfahren)
Zu Absatz 1
Die Vorschrift legt fest, dass die rehabilitierte Person auf Antrag eine Entschädigung aus dem Bundeshaushalt
erhält.
Zu Absatz 2
Die Rehabilitierung soll für die einzelnen Betroffenen mit einer Entschädigung verbunden werden. Der Entwurf
sieht eine pauschalierte Entschädigung vor. Sie folgt dem Gedanken anzuerkennen, dass es aus heutiger Sicht
auch in der Vergangenheit – trotz anderer gesellschaftlicher Grundhaltungen – in keiner Weise legitim war, Soldatinnen
und Soldaten allein auf Grund einvernehmlicher homosexueller Handlungen oder der geschlechtlichen
Identität dienstrechtlich zu benachteiligen. Das Modell einer pauschalierten Entschädigung ermöglicht eine zügige
Bearbeitung der Entschädigungsansprüche.
Die für die Rehabilitierung vorgesehenen Entschädigungsbeträge von 3 000 Euro für jedes aufgehobene Urteil
orientieren sich an den im StrRehaHomG für aufgehobene Urteile vorgesehenen Beträgen.
Die Benachteiligungen nach § 1 Absatz 2 wogen für die Betroffenen oft genauso schwer wie eine wehrdienstgerichtliche
Verurteilung. Daher soll die Entschädigung auch für derartige Benachteiligungen einheitlich 3 000 Euro
betragen. Da die Benachteiligungen meist auf nicht eindeutig voneinander trennbaren Lebenssachverhalten beruhen,
soll der Betrag einmalig für alle erlittenen Benachteiligungen gezahlt werden.
Die Entschädigungen nach Absatz 2 Nummer 1 und 2 können kumuliert werden.
Drucksache 19/26835 – 20 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Zu Absatz 3
Nur die rehabilitierte Person selbst ist antragsberechtigt, wobei sie sich der Hilfe anderer Personen bedienen kann.
Für die Geltendmachung der Entschädigungsansprüche wird ein Zeitraum von fünf Jahren festgelegt. So erhalten
diejenigen, die zunächst unschlüssig sind, die Möglichkeit, sich auch noch später für eine Entschädigungsleistung
zu entscheiden. Mit dieser Zeitspanne wird auch berücksichtigt, dass Menschen erst einige Zeit nach dem Inkrafttreten
des Gesetzes von ihrer Rehabilitierung und den Entschädigungsansprüchen erfahren. Ein längerer oder gar
ein unbefristeter Zeitraum wird allerdings nicht als erforderlich angesehen.
Mit Satz 3 wird bestimmt, dass das Bundesministerium der Verteidigung den Anspruch auf Entschädigung durch
Verwaltungsakt feststellt. Damit werden zugleich die statthafte Klageart (Verpflichtungsklage gemäß § 42 Absatz
1 der Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]) und die örtliche Zuständigkeit für ein etwaiges verwaltungsgerichtliches
Verfahren (§ 52 Nummer 2 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 VwGO) bestimmt. Gemäß den §§ 48 und
49a VwVfG können der Entschädigungsbescheid zurückgenommen und der ausgezahlte Entschädigungsbetrag
zurückgefordert werden. Das gilt z. B., wenn die antragstellende Person die Geldleistung durch arglistige Täuschung
erwirkt hat.
Zu Absatz 4
Die Vorschrift soll insbesondere ausschließen, dass für einen Sachverhalt, der bereits nach der „Richtlinie zur
Zahlung von Entschädigungen für Betroffene des strafrechtlichen Verbots einvernehmlicher homosexueller
Handlungen aus dem Bundeshaushalt (Kapitel 0718 Titel 681 03)“ entschädigt wurde, nochmals eine Entschädigung
in voller Höhe gezahlt wird. Soweit Entschädigungsbeträge nach anderen Vorschriften für den gleichen
Sachverhalt gezahlt wurden, besteht kein Anspruch mehr.
Die Vorschrift schließt jedoch nicht aus, dass eine Person, die nach dem StrRehaHomG eine Entschädigung wegen
eines Strafurteils erhalten hat, nochmals wegen eines wehrdienstgerichtlichen Urteils entschädigt wird. Insofern
handelt es sich um verschiedene Rehabilitierungstatbestände.
Zu Absatz 5
Der Entschädigungsanspruch wird als höchstpersönlicher Anspruch ausgestaltet; er soll nicht pfändbar, nicht vererbbar
und nicht übertragbar sein.
Die Vorschrift regelt, dass die im Entwurf vorgesehenen Entschädigungsleistungen auf sämtliche Sozialleistungen,
z. B. Sozialhilfe, Arbeitslosengeld II und Wohngeld, nicht angerechnet werden; die Anrechnungsfreiheit bezieht
sich sowohl auf das Einkommen als auch auf das Vermögen. Eine solche Regelung ist erforderlich, um
sicherzustellen, dass die Entschädigungsbeträge den Rehabilitierten für die Zwecke zur Verfügung stehen, für die
sie bestimmt sind, nämlich als Genugtuung für erlittene Benachteiligungen.
Zu Absatz 6
Dem Rehabilitierungsgedanken folgend werden für das Entschädigungsverfahren keine Gebühren und Auslagen
erhoben.
Zu § 4 (Rechtsweg)
Über Streitigkeiten nach diesem Gesetz sollen die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit entscheiden. Auch
nach § 7 StrRehaHomG ist für den Anspruch auf Entschädigung der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
Zu § 5 (Außerkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Außerkrafttreten des Gesetzes. Im Jahr 2040 sollten alle innerhalb von fünf Jahren nach
dem Inkrafttreten des Gesetzes gestellten Anträge abschließend bearbeitet worden sein; andernfalls müsste die
Geltungsdauer des Gesetzes verlängert werden.
Zu Artikel 2 (Änderung des Einkommensteuergesetzes)
Die vorgesehenen Entschädigungsleistungen sollen wie schon die Leistungen nach dem StrRehaHomG bei der
Ermittlung des steuerpflichtigen Einkommens nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) unberücksichtigt bleiben.
Mit der Steuerfreistellung wird erreicht, dass die Entschädigungsbeträge den Rehabilitierten in voller Höhe
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 21 – Drucksache 19/26835
für die Zwecke zur Verfügung stehen, für die sie bestimmt sind, nämlich als Genugtuung für erlittene Benachteiligungen
und Diskriminierungen, die aus heutiger Sicht grundrechtswidrig sind. Zu diesem Zweck ergänzt Artikel
2 die Gesetzesaufzählung in § 3 Nummer 23 EStG um das SoldRehaHomG.
Zu Artikel 3 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Das Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft, da
weitere Verzögerungen den Betroffenen nicht zumutbar sind.
Drucksache 19/26835 – 22 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Anlage 2
Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gem. § 6 Absatz 1 NKRG
Entwurf eines Gesetzes zur Rehabilitierung der wegen einvernehmlicher homosexueller
Handlungen oder in anderer Weise auf Grund ihrer sexuellen Identität dienstrechtlich
benachteiligten Soldatinnen und Soldaten (NKR-Nr. 5517, BMVg)
Der Nationale Normenkontrollrat hat den Entwurf des oben genannten Regelungsvorhabens
geprüft.
I. Zusammenfassung
Bürgerinnen und Bürger
Wirtschaft
Verwaltung
Bund
Evaluierung
Einmaliger Zeitaufwand: 1 840 Stunden
(entspricht 46.000 Euro bei angenommenen
25 Euro je Stunde)
Erfüllungsaufwand: keine Auswirkungen
Einmaliger Erfüllungsaufwand: rund 1,5 Mio. Euro
verteilt über fünf Jahre
Ziele:
Kriterien/Indikatoren:
Datengrundlage:
Das Gesetz wird zwei Jahre nach seinem Inkrafttreten
evaluiert.
Rehabilitierung und Entschädigung von Soldatinnen
und Soldaten, die aufgrund einvernehmlich er
homosexueller Handlungen eine wehrdienstgerichtliche
Verurteilung oder eine sonstige dienstrechtliche
Benachteiligung erlitten haben.
Rehabilitierungs- und Entschädigungsansprüche
Daten und Erfahrungen der Rehabilitierungs- und
Entschädigungsstelle
Befristung Das Gesetz tritt mit Ablauf des Jahres 2040 außer
Kraft.
Das Ressort hat den Erfüllungsaufwand methodengerecht ermittelt und nachvollziehbar
dargestellt. Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) erhebt im Rahmen seines gesetzlichen
Auftrags keine Einwände gegen die Darstellung der Gesetzesfolgen in dem vorliegenden
Regelungsentwurf.
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 23 – Drucksache 19/26835
II. Im Einzelnen
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr konnten bis zum Jahr 2000 auf Grund einvernehmlicher
homosexueller Handlungen oder auf Grund ihrer sexuellen Identität dienstrechtliche
Benachteiligungen erleiden. Diese konnten bis hin zu Entlassungen und wehrdienstgerichtlichen
Verurteilungen führen. Soldatinnen und Soldaten der Nationalen Volksarmee der
Deutschen Demokratischen Republik waren ebenfalls solchen dienstrechtlichen Nachteilen
aufgrund homosexueller Handlungen oder ihrer sexuellen Identität ausgesetzt.
Ziel des Regelungsentwurfs ist die Rehabilitierung dieses Personenkreises unter der Erwägung,
dass eine wehrdienstgerichtliche Verurteilung oder eine durch sonstige dienstrechtliche
Benachteiligung erlittene Diskriminierung einvernehmlicher homosexueller Handlungen nach
heutigem Verständnis in besonderem Maße grundrechtswidrig und zugleich mit einer Diskriminierung
gegenüber heterosexuellen Handlungen verbunden ist. Zur Verwirklichung des Regelungsziels
soll es eine pauschalierte Entschädigung in Geld bis insgesamt höchstens 6.000
Euro gewährt werden.
II.1. Erfüllungsaufwand
Der Erfüllungsaufwand wurde methodengerecht ermittelt und nachvollziehbar dargestellt.
Bürgerinnen und Bürger
Für Bürgerinnen und Bürger entsteht ein einmaliger Erfüllungsaufwand von 1 840 Stunden.
Dies entspricht bei einem angenommenen Lohnsatz von 25 Euro je Stunde ein Erfüllungsaufwand
von 46.000 Euro.
Die Entschädigungsleistung setzt einen Antrag der Betroffenen voraus. Hierdurch entsteht
den Bürgerinnen und Bürgern durch die Antragstellung ein einmaliger Erfüllungsaufwand. Die
Antragstellung ist innerhalb einer Ausschlussfrist von fünf Jahren nach dem Inkrafttreten dieses
Gesetzes möglich. Mangels anderer Erfahrungen aus vergleichbaren Prozessen wird für
die Ermittlung des Erfüllungsaufwandes auf die Zeitwerttabelle für Informationspflichten der
Bürger aus dem Leitfaden zur Ermittlung und Darstellung des Erfüllungsaufwands 2018
zurückgegriffen. Es wird ein Verfahren der mittleren Komplexität unterstellt. Lediglich für die
Aktivität „Fachliche Beratung in Anspruch nehmen“ wurde ein Zeitaufwand von 60 Minuten
pro Fall zugrunde gelegt. Gemeinsam mit den Aktivitäten „Sich mit der gesetzlichen Verpflichtung
vertraut machen“, „Daten und Informationen sammeln und zusammenstellen“, „Informationen
und Daten aufbereiten“, „Formulare ausfüllen“, „Schriftstücke aufsetzen“, „Informationen
oder Daten an die zuständigen Stellen übermitteln“, „Unterlagen kopieren, abheften, abspeichern“
sowie durch die „Vorlage weiterer Informationen bei Behörden durch Rückfragen“
entsteht für die Bürgerinnen und Bürger insgesamt ein Zeitaufwand pro Fall von 92 Minuten.
Bei geschätzten 1.200 Anträgen verursacht dies für die Bürgerinnen und Bürger einen einmaligen
Erfüllungsaufwand von 1 840 Stunden.
Wirtschaft
Das Regelungsvorhaben hat keine Auswirkungen auf den Erfüllungsaufwand der Wirtschaft.
Verwaltung (Bund, Länder/Kommunen)
Dem Bundesministerium der Verteidigung entsteht durch die Einrichtung der Rehabilitierungs-
und Entschädigungsstelle ein einmaliger Erfüllungsaufwand von rund 1,5 Mio. Euro.
Dieser setzt sich aus 1,2 Mio. Euro Aufwand aus Personalkosten sowie 300.000 Euro für
Drucksache 19/26835 – 24 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
Sachaufwand zusammen. Das Regelungsvorhaben hat keine Auswirkungen auf den Erfüllungsaufwand
der Länder und Gemeinden.
Beim Bundesministerium der Verteidigung entsteht durch die Einrichtung der Rehabilitierungs-
und Entschädigungsstelle Sach- und Personalaufwand. Es werden 1 200 Fälle auf
Entschädigung und/oder Rehabilitation erwartet. Die Mitarbeiter müssen sich zunächst mit
den Vorgaben dieses Gesetzes und der entsprechenden Verfahrensanweisung sowie den
organisatorischen Abläufen vertraut machen. Dazu wird einmalig ein Zeitaufwand von 180
Minuten pro Mitarbeiter veranschlagt.
Die Bearbeitung der Rechtsfragen erfolgt durch einen Mitarbeiter des höheren Dienstes. Die
weitere Bearbeitung wird dem gehobenen Dienst zugewiesen werden. Die administrativen
Aufgaben, die mit dem erhöhten Rechercheaufwand einhergehen, sowie die administrative
Unterstützung der gestellten Rehabilitations- und Entschädigungsanträge, wird im Rahmen
der Bürosachbearbeitung als auch bei der Führung der Registratur von einem Mitarbeiter des
mittleren Dienstes wahrgenommen. Zur Ermittlung des Lohnsatzes wird die Lohnkostentabelle
der Verwaltung gemäß dem Leitfaden zur Ermittlung des Erfüllungsaufwandes, 2018
herangezogen. Der Lohnkostensatz beträgt danach für die Mitarbeiter des Bundes für den
höheren Dienst 65,40 Euro je Stunde, für den gehobenen Dienst von 43,40 Euro je Stunde
sowie für den mittleren Dienst von 31,70 Euro je Stunde.
Im Vergleich zur Aufhebung der strafrechtlichen Urteile nach dem Gesetz zur strafrechtlichen
Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen
verurteilten Personen (StrRehaHomG) aus dem Jahr 2017 wird die Einzelfallprüfung mit
gewissem Aufwand verbunden sein. In jedem Einzelfall muss in den Archiven nach noch zur
Verfügung stehenden Dokumenten gesucht werden. Sodann wird rechtlich zu bewerten sein,
ob Urteile ausschließlich aufgrund einvernehmlicher homosexueller Handlungen ergangen
sind. Hierzu reicht es – anders als im Strafrecht – nicht, den Tenor zu betrachten; vielmehr
ergeben sich die einem Urteil zugrundeliegenden Dienstpflichtverletzungen erst aus den Urteilsgründen,
so dass diese im Einzelnen auszuwerten sind.
Auch die Bearbeitung der Anträge auf Entschädigungsleistungen wegen sonstiger dienstrechtlicher
Benachteiligungen wird mit einem erheblichen Aufwand verbunden sein. Wie bei
den aufgehobenen Urteilen muss in den Archiven nach noch zur Verfügung stehenden Dokumenten
gesucht werden. Anschließend ist zu bewerten, ob eine Benachteiligung allein aufgrund
der sexuellen Orientierung vorliegt.
Es werden folgende Tätigkeiten/Aufgaben mit folgenden durchschnittlichen Zeitaufwand pro
Fall zu erledigen sein:
a) Beratung und Führung von Vorgesprächen mit Antragstellern: 60 Minuten,
b) Daten im Prozess erfassen: 15 Minuten
c) formelle Prüfung, Daten und Informationen sichten und zusammenstellen, Vollständigkeitsprüfung:
30 Minuten,
d) Eingangsbestätigung oder fehlende Daten /Informationen einholen: 10 Minuten,
e) anfordern von Stammdatensätzen, Personalunterlagen, disziplinarrechtlichen Unterlagen/Urteilen
und Gesundheitsunterlagen: je 10 Minuten,
f) Nachforschungen und Erinnerungen zu fehlenden Unterlagen: 60 Minuten
g) auswerten von Stammdatensätzen, Personalunterlagen, disziplinarrechtlichen Unterlagen/Urteilen,
von Gesundheitsunterlagen: je 60 Minuten,
h) inhaltliche Prüfungen und Bewertungen durchführen: 250 Minuten,
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 25 – Drucksache 19/26835
i) Informationen abschließend aufbereiten: 60 Minuten,
j) Ergebnisse prüfen und rechtlich bewerten: 240 Minuten,
k) Bescheid erstellen: 90 Minuten,
l) Zahlungen auf den Entschädigungsleistungen anweisen: 10 Minuten,
m) ggf. Klageverfahren führen,
n) interne oder externe Besprechungen oder Gespräche durchführen: 60 Minuten,
o) kopieren, verteilen, archivieren, dokumentieren: 50 Minuten,
p) statistische Daten erheben und pflegen: 15 Minuten.
Die Tätigkeiten j), k), m) und n) werden von einem Mitarbeiter des höheren Dienstes wahrgenommen.
Hierfür entsteht ein Zeitaufwand von etwa (1.200 Anträge x 390 Minuten pro Fall)
7.800 Stunden. Für etwaige Klageverfahren wird ein Zeitaufwand über alle Fälle hinweg von
200 Stunden geschätzt. Insgesamt entsteht so bei einem Mitarbeiter des höheren Dienstes
insgesamt ein Zeitaufwand von 8.000 Stunden verteilt auf fünf Jahre. Bei einem Lohnsatz von
65,40 Euro je Stunde ergibt sich daraus ein Erfüllungsaufwand von rund 525.000 Euro über
fünf Jahre verteilt.
Die Tätigkeiten a), c), f), g), h) und i) werden von Mitarbeitern des gehobenen Dienstes
wahrgenommen. Hierfür entsteht ein Zeitaufwand von etwa (1 200 Anträge x 640 Minuten pro
Fall) 12.800 Stunden verteilt auf fünf Jahre. Bei einem Lohnsatz von 43,40 Euro je Stunde
ergibt sich ein Erfüllungsaufwand von rund 556.000 Euro über fünf Jahre verteilt.
Die Tätigkeiten b), d), e), f), l), o) und p) werden von einem Mitarbeiter des mittleren Dienstes
wahrgenommen. Hierfür entsteht ein Zeitaufwand von etwa (1.200 Anträge x 200 Minuten pro
Fall) 4.000 Stunden verteilt auf fünf Jahre. Bei einem Lohnsatz von 31,70 Euro je Stunde
ergibt sich daraus ein Erfüllungsaufwand von rund 127 000 Euro über fünf Jahre verteilt.
Insgesamt werden vier Mitarbeiter mit der Umsetzung dieses Gesetzes betraut werden, davon
ein Mitarbeiter des höheren Dienstes, zwei Mitarbeiter des gehobenen Dienstes sowie
ein Mitarbeiter des mittleren Dienstes. Für die Einarbeitung der Mitarbeiter entsteht ein einmaliger
Erfüllungsaufwand von (65,40 Euro x 3 Stunden + 43,40 Euro x 6 Stunden + 31,70
Euro x 3 Stunden) rund 550 Euro.
Insgesamt entsteht damit ein einmaliger Personalaufwand von rund 1,2 Mio. Euro verteilt über
fünf Jahre.
Für die Einrichtung der Rehabilitierungs- und Entschädigungsstelle (z. B. IT-Ausstattung) entsteht
über einen Zeitraum von fünf Jahren verteilt ein einmaliger Sachaufwand von rund
300 000 Euro.
II.2. Evaluierung
Ziel des Gesetzes ist die Rehabilitierung der von dienstrechtlichen Nachteilen betroffenen
Soldatinnen und Soldaten, insbesondere durch die Aufhebung wehrdienstgerichtlicher Verurteilungen,
die ausschließlich einvernehmliche homosexuelle Handlungen als Dienstpflichtverletzung
zum Gegenstand hatten. Das Gesetz behandelt eine historische Sonderkonstellation
und ist auf möglichst zügige, zeitlich begrenzte Abwicklung von Rehabilitierungs- und Entschädigungsansprüchen
angelegt. Die Rehabilitierung soll mit einer symbolischen Entschädigung
in Geld einhergehen. Die Evaluierung erfolgt zwei Jahre nach dem Inkrafttreten dieses
Gesetzes. Die hierfür erforderlichen Daten und Erfahrungen werden im Rahmen der Admi-
Drucksache 19/26835 – 26 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode
nistration dieses Gesetzes von der damit betrauten Rehabilitierungs- und Entschädigungsstelle
erhoben. Es wird auch untersucht, ob und inwieweit der Erfüllungsaufwand der Verwaltung
(insbesondere Antragszahlen, die Anzahl der geleisteten Entschädigungen sowie der
erforderliche Zeit- und Sachaufwand) sich entsprechend der hier getroffenen Annahmen verwirklicht
hat.
II.3. Befristung
Das Gesetz tritt mit Ablauf des Jahres 2040 außer Kraft.
III. Ergebnis
Das Ressort hat den Erfüllungsaufwand methodengerecht ermittelt und nachvollziehbar
dargestellt. Der Nationale Normenkontrollrat erhebt im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags
keine Einwände gegen die Darstellung der Gesetzesfolgen in dem vorliegenden Regelungsentwurf.
Dr. Ludewig
Vorsitzender + Berichterstatter
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ISSN 0722-8333