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Drucksache
Zur Rolle deutscher Jugendämter bei grenzüberschreitenden Familienkonflikten
19/17010
2020-02-03
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Wieland Schinnenburg, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/16641 –
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http://dipbt.bundestag.de:80/dip21/btd/19/170/1917010.pdf
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19/16641
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Deutscher Bundestag Drucksache 19/17010 19. Wahlperiode 04.02.2020 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Wieland Schinnenburg, Stephan
Thomae, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
– Drucksache 19/16641 – Zur Rolle deutscher Jugendämter bei grenzüberschreitenden Familienkonflikten V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r In seiner Entschließung P8 TA-PROV(2018)0476 (2018/2856(RSP)) vom
29. November 2018 positioniert sich das Europäische Parlament zur Rolle der
Jugendämter in Deutschland bei grenzüberschreitenden Familienstreitigkeiten. Es stellt fest, dass die Probleme im Zusammenhang mit dem deutschen Familienrecht,
einschließlich der Rolle der Jugendämter, welche in Petitionen
nichtdeutscher Elternteile dargestellt worden seien, weiterhin ungelöst blieben.
Der Petitionsausschuss erhalte nach wie vor ständig Petitionen von nichtdeutschen
Eltern, in denen über schwerwiegende Diskriminierungen durch
deutsche Behörden bei grenzüberschreitenden Familienstreitigkeiten, an denen
Kinder beteiligt seien, berichtet werde. Am 19. Dezember 2018 erschien in der Tageszeitung „Die Welt“ der Artikel
„Polens Angst vorm deutschen Jugendamt“ der Journalistin Kaja Klapsa. Der
Artikel wirft die Frage auf, ob hinter dem Großteil der beim Petitionsausschuss
des Europäischen Parlaments eingegangenen Petitionen, in denen deutschen
Jugendämtern eine systematische Diskriminierung nichtdeutscher Elternteile
vorgeworfen wird, eine gezielte polnische Kampagne steckt. Dennoch ist das Europäische Parlament besorgt darüber, dass deutsche Behörden
die Anerkennung von Gerichtsentscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten
angeblich systematisch verweigern können und betont, dass die Behörden
der Mitgliedstaaten nach der Brüssel-IIa-Verordnung verpflichtet seien, Entscheidungen
eines anderen Mitgliedstaats in Fällen, in denen Kinder beteiligt
seien, anzuerkennen und zu vollstrecken. Die Abgeordneten äußern zudem ihre Besorgnis über die von den Petenten angesprochenen
Fälle mit kurzen Fristen, die von den zuständigen Behörden
festgelegt worden seien, sowie über Dokumente, die von den zuständigen
deutschen Behörden übermittelt worden seien und nicht in der Sprache des
nichtdeutschen Petenten vorlägen. Sie erinnern daran, wie wichtig es ist, dass
nichtdeutsche Elternteile von Anfang an und in jeder Phase des Verfahrens, an
dem Kinder beteiligt sind, unverzüglich vollständige und klare Informationen
über das Verfahren und die möglichen Folgen in einer Sprache erhalten, die
die betreffenden Elternteile voll und ganz verstehen. Das Europäische Parlament
betont zudem, dass sichergestellt werden müsse, dass nichtdeutsche El- Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend vom 3. Februar 2020 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/17010 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode tern und ihre Kinder in der zwischen ihnen üblichen Sprache kommunizieren
können. Die Mitgliedstaaten werden dazu angehalten, die Einrichtung einer Plattform
zur Unterstützung von EU-Ausländern in Familienverfahren mitzufinanzieren
und zu fördern. Außerdem fordert das Europäische Parlament die Mitgliedstaaten
auch unter der Berücksichtigung, dass das materielle Familienrecht in
der alleinigen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten liegt, auf, statistische Daten
über die Verwaltungs- und Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit dem Sorgerecht
für Kinder, an denen ausländische Elternteile beteiligt sind, zu sammeln,
um eine detaillierte Analyse anbieten zu können. V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Der Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments hat Deutschland in den
vergangenen Jahren immer wieder verdächtigt, nichtdeutsche EU-Bürgerinnen
und -Bürger in familiengerichtlichen Streitigkeiten zu diskriminieren. Anlass
hierfür sind Beschwerden von Petentinnen bzw. Petenten, die sich – als Unterlegene
eines Rechtsstreits – subjektiv in ihren Rechten verletzt sehen. Die
Bundesregierung ist diesen Vorwürfen bereits mehrmals nachgegangen. Auf
Basis der Ergebnisse ist die Bundesregierung der Kritik ebenfalls mehrfach entgegengetreten
und hat klargestellt, dass es keinerlei Anzeichen oder gar Beweise
gibt, die diese Vorwürfe bestätigen. Deutschland bekennt sich zu seinen europarechtlichen sowie internationalen
Verpflichtungen zum Schutz der Familie und des Kindes. Die Tätigkeit der deutschen Jugendämter unterliegt klaren gesetzlichen Vorgaben
und ist geprägt von hohen fachlichen Standards. Dem Handeln der Jugendämter
liegt die maßgebliche Prämisse zugrunde, dass jeder junge Mensch ein
Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen
und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit hat. Die Pflege und Erziehung
der Kinder sind dabei das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst
ihnen obliegende Pflicht; dem Staat kommt hierbei nach Artikel 6 des
Grundgesetzes (lediglich) ein Wächteramt zu. Grundsätzlich dürfen die Jugendämter
daher nicht gegen den Willen der Personensorgeberechtigten handeln. Eine
Ausnahme hiervon stellen kurzfristige Kriseninterventionen bei dringenden
Gefahren für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen dar. Grundsätzlich
bedürfen Eingriffe in das Sorgerecht der Eltern einer Entscheidung des Familiengerichts. Vor diesem Hintergrund weist die Bundesregierung die Kritik, die das Europäische
Parlament in seiner von den Fragestellern in Bezug genommenen Resolution
vom 29. November 2018 zur Rolle der Jugendämter in Deutschland bei
grenzüberschreitenden Familienstreitigkeiten formuliert hat, entschieden zurück.
Sie bedauert, dass die Resolution unbeachtet lässt, dass erwiesenermaßen
keine strukturellen Defizite in der rechtlichen Ausgestaltung von Rolle und Tätigkeit
der Jugendämter und in deren Zusammenspiel mit den Familiengerichten
sowie keine systemimmanenten Diskriminierungen bestehen. 1. Bewertet die Bundesregierung die beim Petitionsausschuss des Europäischen
Parlaments eingegangenen Petitionen, in denen eine sehr große
Zahl nichtdeutscher Elternteile in grenzüberschreitenden Familienstreitigkeiten
den deutschen Jugendämtern eine systematische Diskriminierung
vorwirft, und wenn ja, wie? Es wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/17010 2. Hat die Bundesregierung Kenntnis, welche Nationalität die Petenten haben,
und a) wenn ja, bitte nach Nationalitäten aufschlüsseln, und b) wenn nein, warum nicht? Die Bundesregierung hat keine umfassende Kenntnis über die beim Petitionsausschuss
des Europäischen Parlaments eingegangenen Petitionen und damit
auch nicht über die Nationalität der Petentinnen und Petenten. 3. Hat die Bundesregierung darüber Kenntnis, ob noch andere EU-
Mitgliedstaaten von Diskriminierungsvorwürfen in Bezug auf grenzüberschreitende
Familienstreitigkeiten betroffen sind, und wenn ja, welche? Die Bundesregierung hat keine Kenntnis darüber, ob noch andere EU-
Mitgliedstaaten von Diskriminierungsvorwürfen in Bezug auf grenzüberschreitende
Familienstreitigkeiten betroffen sind. 4. Was hat die Bundesregierung unternommen, um den Vorwurf einer systematischen
Diskriminierung ausländischer Elternteile in grenzüberschreitenden
Familienstreitigkeiten durch deutsche Jugendämter zu überprüfen? Das Thema etwaiger Diskriminierung ausländischer Elternteile in grenzüberschreitenden
Familienstreitigkeiten durch deutsche Jugendämter wurde insbesondere
während Delegationsreisen von Abgeordneten des Europäischen Parlaments
nach Berlin in den Jahren 2007 und 2011 (sog. „fact finding missions“)
erörtert. Im November 2011 haben in Berlin in diesem Zusammenhang Gespräche
einer Delegation des Petitionsausschusses des Europäischen Parlaments mit
Mitgliedern des Deutschen Bundestages, des Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), des Bundesministeriums der Justiz
und für Verbraucherschutz (BMJV) und Vertreterinnen und Vertretern deutscher
Familiengerichte, der obersten Landesjugendbehörden, der Jugendämter sowie
des Internationalen Sozialdienstes im Deutschen Verein für öffentliche und private
Fürsorge (ISD) stattgefunden. Im Rahmen der Gespräche wurden die Delegationsmitglieder
ausführlich über das deutsche Kinder- und Jugendhilfewesen,
die Befugnisse der Jugendämter und die Kontrolle über die Jugendämter
informiert. Es fand ein intensiver und fruchtbarer Meinungsaustausch statt, der
auch zu ersten Ergebnissen geführt hat. So wurden BMFSFJ und BMJV als Ansprechpartner
in der Bundesregierung benannt, damit der Petitionsausschuss
des Europäischen Parlaments künftig weiterführende Informationen zu den
Hintergründen von Petitionen gegen die Arbeitsweise deutscher Jugendämter
und Familiengerichte erhalten kann. Mit den Delegationsteilnehmerinnen und
-teilnehmern wurde auch vereinbart, dass die Bundesregierung mit dem Petitionsausschuss
des Europäischen Parlaments noch enger zusammenarbeitet und
dass an diesen gerichtete, die deutsche Kinder- und Jugendhilfe betreffende Anfragen
zügig zur Untersuchung und Stellungnahme an die Bundesregierung
weitergeleitet werden. Im Nachgang des Treffens wurden dem Petitionsausschuss
des Europäischen Parlaments zudem detaillierte Informationen zur
Rechtsaufsicht über deutsche Jugendämter und die Einlegung von Rechtsbehelfen
bei deutschen Gerichten übermittelt. Während des Delegationsbesuchs gelangte
die Mehrheit der Delegationsteilnehmerinnen und -teilnehmer des Petitionsausschusses
des Europäischen Parlaments zur Überzeugung, dass es die behauptete
Diskriminierung in Deutschland nicht gibt. Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/17010 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Darüber hinaus hat die Bundesregierung bereits mehrfach, zuletzt in einem umfassenden
Schreiben der Parlamentarischen Staatssekretärin Caren Marks an
die Vorsitzende des Petitionsausschusses des Europäischen Parlaments von
Februar 2017, die Fragen des Petitionsausschusses zur deutschen Rechtslage
beantwortet. 5. Hat die Bundesregierung Kenntnis, welche Jugendämter von den Vorwürfen
betroffen sind? a) Wenn ja, gibt es Jugendämter, die mehrfach vom Vorwurf der Diskriminierung
betroffen sind? b) Wenn nein, welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um diese
Kenntnis zu erlangen? Auf die Antwort zu Frage Nr. 2 wird verwiesen. Maßnahmen, um entsprechende
Kenntnisse zu erlangen, plant die Bundesregierung nicht. 6. Welche gesetzlichen Vorschriften sind nach Auffassung der Bundesregierung
einschlägig im Zusammenhang mit dem Einsatz von Dolmetschern
und Übersetzern im Rahmen von grenzüberschreitenden Familienstreitigkeiten? Für die Zustellung von Schriftstücken in familienrechtlichen Verfahren, die in
einem EU-Mitgliedstaat geführt werden, in einem anderen EU-Mitgliedstaat
gilt die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Rates vom 13. November 2007
über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Ziviloder
Handelssachen in den Mitgliedstaaten und zur Aufhebung der Verordnung
(EG) Nr. 1348/2000 des Rates (im Folgenden: Zustellungsverordnung). In Anwendung von Artikel 8 Absatz 1 dieser Verordnung können in einem anderen
EU-Mitgliedstaat ansässige nicht deutschsprachige Empfängerinnen und
Empfänger die Annahme des zuzustellenden in deutscher Sprache abgefassten
Schriftstücks bei der Zustellung verweigern oder das Schriftstück binnen einer
Woche zurücksenden, wenn dem Schriftstück keine Übersetzung in die Amtssprache
des Empfangsmitgliedstaates oder in eine Sprache, die die Empfängerin
oder der Empfänger versteht, beigefügt ist. Über das Annahmeverweigerungsrecht
ist der Empfänger durch Verwendung eines in der Verordnung vorgesehenen
mehrsprachigen Formblatts zu belehren. Auch für Gerichtsverfahren in grenzüberschreitenden Familienstreitigkeiten
gilt: Die Gerichtssprache ist nach § 184 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes
(GVG) Deutsch. Zur Gewährleistung eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens
und des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist jedoch in § 185 Absatz 1 Satz 1
GVG bestimmt, dass für die mündliche Verhandlung eine Dolmetscherin oder
ein Dolmetscher hinzuzuziehen ist, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt
wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Bei hinreichender
Sprachkenntnis aller Beteiligten kann nach § 185 Absatz 2 GVG in fremder
Sprache verhandelt werden. Darüber hinaus kann in Familiensachen nach § 185
Absatz 3 GVG auf die Sprachmittlung verzichtet werden, wenn der Richter
oder die Richterin der Sprache mächtig ist, in der sich die beteiligten Personen
erklären. Die Dolmetscherin oder der Dolmetscher ist gemäß § 189 Absatz 1
GVG zu vereidigen. In Familiensachen kann das Gericht gemäß § 189 Absatz 3
GVG auf eine Vereidigung verzichten, wenn die beteiligten Personen darauf
verzichten. Nach § 191 GVG sind auf die Dolmetscherin oder den Dolmetscher
die Vorschriften über Ausschließung und Ablehnung von Sachverständigen
(§ 30 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten
der Freiwilligen Gerichtsbarkeit – FamFG – i. V. m. § 406 Absatz 1 Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/17010 der Zivilprozessordnung) entsprechend anzuwenden. Die Vergütung der vom
Gericht herangezogenen Dolmetscherinnen und Dolmetscher ist im
Justizvergütungs- und – entschädigungsgesetz (JVEG) geregelt, § 1 Absatz 1
Satz 1 Nummer 1 JVEG. 7. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorwurf der Petenten, Dokumente,
die von den zuständigen deutschen Behörden übermittelt wurden, seien
nicht in der Sprache des nichtdeutschen Petenten zugestellt worden? Auf die Antwort zu Frage Nr. 6 wird verwiesen. 8. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorwurf der Petenten, bei grenzüberschreitenden
Familienstreitigkeiten werde der Schutz des Kindeswohls
von den zuständigen deutschen Behörden systematisch so ausgelegt,
dass sichergestellt werden müsse, dass die Kinder im deutschen Hoheitsgebiet
verbleiben, auch wenn Missbrauch und häusliche Gewalt gegen
den nichtdeutschen Elternteil gemeldet wurden? Wenn ein Paar, das ein gemeinsames Kind hat, sich trennt, stellt sich regelmäßig
die Frage, wie die Eltern künftig ihre elterliche Verantwortung für das Kind
ausüben wollen. Meistens üben die Eltern die elterliche Sorge gemeinsam aus.
Sie können dann auch nur gemeinsam entscheiden, wo ein Kind nach der Trennung
leben soll. Wenn ein Elternteil nach der Trennung mit dem Kind in ein
anderes Land ziehen möchte, ist dies bei gemeinsamer Sorge nur mit Zustimmung
des anderen Elternteils möglich. Falls sich die Eltern nicht einigen können,
bei welchem Elternteil der Lebensmittelpunkt des Kindes sein soll, kann
jeder Elternteil beim Familiengericht beantragen, ihm die elterliche Sorge oder
einen Teil der elterlichen Sorge – etwa das Aufenthaltsbestimmungsrecht –
allein zu übertragen. Zuständig ist nach der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003
(Brüssel IIa-Verordnung) ein Gericht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hat. Das Familiengericht gibt – wenn deutsches Recht anzuwenden ist – einem
solchen Antrag statt, wenn zu erwarten ist, dass zum einen die Aufhebung der
gesamten oder eines Teils der gemeinsamen Sorge und zum anderen die
(Teil-)Übertragung auf die Antragstellerin oder den Antragsteller dem Wohl des
Kindes am besten entspricht. Ob eine Aufhebung der gemeinsamen Sorge dem
Wohl des Kindes am besten entspricht, hängt maßgeblich von der Konsens- und
Kooperationsbereitschaft der Eltern ab. Dabei kommt es maßgeblich darauf an,
welche Auswirkungen die mangelnde Einigungsfähigkeit der Eltern bei einer
Gesamtbeurteilung der Verhältnisse auf die Entwicklung und das Wohl des
Kindes haben wird. Können sich die Eltern nicht über den Lebensmittelpunkt
des Kindes einigen, wird über die gemeinsame elterliche Sorge zumindest bezüglich
des Rechts zur Aufenthaltsbestimmung durch ein Gericht zu entscheiden
sein. Hat das Gericht z. B. festgestellt, dass die Aufhebung oder Teilübertragung der
gemeinsamen Sorge das Beste für das Kindeswohl ist, schließt sich die Prüfung
an, ob die entsprechende Übertragung auf den jeweiligen Antragstellenden dem
Wohl des Kindes am besten entspricht. In diese Prüfung bezieht die Rechtsprechung
verschiedene sog. Sorgerechtskriterien ein, u. a. den Gesichtspunkt der
Kontinuität der Lebensverhältnisse, den Förderungsgrundsatz sowie die Bindungen
des Kindes und dessen Willen. Auch dem etwaigen Vorwurf der Gewalt
eines Elternteils gegen den anderen oder gegenüber dem Kind hat das Gericht
nachzugehen und berücksichtigt das Ergebnis im Rahmen der Prüfung, ob die
gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl weiterhin am besten entspricht. Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/17010 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Bei der Entscheidung, welchem Elternteil das Recht zugesprochen wird, den
Aufenthalt des Kindes zu bestimmen, kommt es nicht darauf an, warum ein Elternteil
mit dem Kind ausreisen möchte, sondern ausschließlich auf das Kindeswohl
(Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.04.2010 – XII ZB 81/09). Die
Entscheidung des Familiengerichts ist nicht durch tatsächliche oder rechtliche
Vermutungen eingeengt, die im Zweifelsfall den Ausschlag für oder gegen eine
Auswanderung mit dem Kind geben könnten. Vielmehr ist die Entscheidung stets aufgrund einer umfassenden Abwägung des
Einzelfalls zu treffen. Zu fragen ist, ob die Auswanderung oder der Verbleib
des Kindes im Inland die für das Kindeswohl bessere Lösung ist. Dementsprechend
gibt es sowohl Entscheidungen von Familiengerichten, die dem ausreisewilligen
Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zusprechen, als auch Entscheidungen,
die dem bleibewilligen Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht
zusprechen (Beispiele für Aufenthaltsbestimmungsrecht für den ausreisewilligen
Elternteil: OLG Köln, Beschluss vom 04.11.2015, II-10 UF 123/15;
KG Berlin, 13 UF 106/08, Beschluss vom 06.08.2009; Brandenburgisches
Oberlandesgericht, 10 UF 194/13, Beschluss vom 08.12.2014; OLG Hamm,
II-8 UF 237/10, 8 UF 237/10, Beschluss vom 04.04.2011; KG Berlin, 3 UF
201/10, Beschluss vom 09.02.2011; OLG Karlsruhe, 2 UF 88/08, Beschluss
vom 27.11.2008; OLG Köln, 4 UF 209/04, Beschluss vom 18.01.2006; OLG
Zweibrücken, 5 UF 47/04, Beschluss vom 13.07.2004). Die Staatsangehörigkeit
der Elternteile und des Kindes ist dabei nicht entscheidend. 9. In welcher Weise stellt die Bundesregierung sicher, dass die Vorschriften
der Brüssel-IIa-Verordnung von den zuständigen Behörden eingehalten
werden und Entscheidungen und Urteile aus anderen Mitgliedstaaten gegenseitig
anerkannt werden? Bei der sogenannten Brüssel IIa-Verordnung handelt es sich um eine Verordnung
im Sinne von Artikel 288 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise
der Europäischen Union (AEUV), die allgemeine Geltung hat, in all ihren Teilen
verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt. Ihre Umsetzung
in nationales Recht ist weder erforderlich noch zulässig. Trotz dieser unmittelbaren
Geltung bedürfen die Regelungen der Brüssel IIa-Verordnung zur Durchführung
in einzelnen Punkten ergänzender innerstaatlicher Regelungen. Diese
finden sich im Internationalen Familienrechtsverfahrensgesetz (IntFamRVG). Artikel 21 Absatz 1 der Brüssel IIa Verordnung bestimmt, dass die in einem
Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt
werden, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Die
Gründe, aus denen die Anerkennung einer solchen Entscheidung in einem anderen
Mitgliedstaat versagt werden kann, sind abschließend in Artikel 23 der
Brüssel IIa-Verordnung geregelt. Die Einhaltung dieser Vorschriften obliegt
den sie anwendenden Gerichten und Behörden. Jeder Partei, die ein Interesse
hat, steht es jedoch frei, gemäß Artikel 21 Absatz 3 der Brüssel IIa-Verordnung
eine gerichtliche Entscheidung über die Anerkennung der Entscheidung zu beantragen. Nach dem Verfassungsgefüge des Grundgesetzes ist es ist nicht Aufgabe der
Bundesregierung, die Einhaltung der Vorschriften der Brüssel IIa-Verordnung
durch die der Rechtsaufsicht der Länder unterstehenden Jugendämter und durch
die in richterlicher Unabhängigkeit entscheidenden Familiengerichte sicherzustellen.
Allerdings stellt das Bundesamt für Justiz als Bundesoberbehörde im
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz
in seiner Eigenschaft als deutsche Zentrale Behörde nach der Brüssel IIa-
Verordnung umfangreiche Beratung für zuständige deutsche Stellen (Gerichte
und Behörden) sowie für die Rechtsanwaltschaft und Betroffene zur Verfügung. Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/17010 Zudem sind vielfältige und umfangreiche Informationsmaterialien in Form von
Broschüren auch im Internet (www.bundesjustizamt.de/sorgerecht) erhältlich.
Das Bundesamt für Justiz veranstaltet weiterhin speziell zu Fragen der Brüssel
IIa-Verordnung zweimal jährlich eigene Seminare für die nach dem Int-
FamRVG für die fakultativen Anerkennungsverfahren zuständigen deutschen
Familienrichterinnen und Familienrichter und nimmt regelmäßig an zahlreichen
weiteren Veranstaltungen zu diesem Thema teil. 10. Hat die Bundesregierung Kenntnis von Fällen, in denen nichtdeutsche
Elternteile im Falle des begleiteten Umgangs die offizielle Praxis des Jugendamtes,
bei Gesprächen mit ihren Kindern deutsch zu sprechen, nicht
eingehalten haben, und dass dies dazu geführt hat, dass die Gespräche
unterbrochen wurden und eine Kontaktsperre zwischen den nichtdeutschen
Eltern und ihren Kindern verhängt wurde? Der Bundesregierung ist in Zusammenhang mit einem polnischen Elternteil ein
problematischer Einzelfall bekannt, der über zehn Jahre zurückliegt. Hinweise darauf, dass die deutschen Jugendämter strukturell diskriminierend
den Umgangskontakt in der Muttersprache eines nicht-deutschen Elternteils
oder den Einsatz von Dolmetscherinnen und Dolmetschern verwehren, liegen
demgegenüber nicht vor. Im Gegenteil ermöglicht das Jugendamt im Rahmen
begleiteten Umgangs mit einem nicht-deutschen Elternteil grundsätzlich die
Verwendung einer gemeinsamen Muttersprache. Es bemüht sich um Hinzuziehung
einer Dolmetscherin oder eines Dolmetschers, wenn es unter Kindeswohlgesichtspunkten
erforderlich ist, dass das Jugendamt den Inhalt der Gespräche
versteht (z. B. wenn der begründete Verdacht einer geplanten Kindesentführung
ins Ausland besteht). Im Übrigen steht betroffenen Familien oder Elternteilen
im Einzelfall der Rechtsweg offen. 11. Hat die Bundesregierung statistische Daten über die Zahl der Fälle in
Deutschland, in denen die Rechtsprechung nicht den Empfehlungen des
Jugendamtes entsprach, erhoben, sowie über die Ergebnisse von Familienstreitigkeiten,
an denen Kinder binationaler Paare beteiligt waren? a) Wenn ja, wurden diese Daten öffentlich zugänglich gemacht? b) Wenn nein, warum nicht? Entsprechende Zahlen werden nicht erhoben. 12. Bedarf es nach Ansicht der Bundesregierung der Einführung, Änderung
oder Ergänzung der Vorschriften für Verfahren in grenzüberschreitendenden
familienrechtlichen Streitigkeiten, um sicherzustellen, dass auch
nichtdeutschsprachige Elternteile in vollem Umfang dem Verfahren folgen
und ihre Ansprüche geltend machen können? Weil das Verfahren in Familiensachen gewährleistet, dass auch nichtdeutschsprachige
Elternteile in vollem Umfang dem Verfahren folgen und ihre
Rechte geltend machen können, ist die Frage zu verneinen. Für die Zustellung von Schriftstücken an ein in einem anderen EU-
Mitgliedstaat ansässiges am Verfahren beteiligtes Elternteil gilt die Zustellungsverordnung.
Danach hat dieses Elternteil, wenn es die deutsche Sprache
nicht versteht, das Recht, die Annahme von in deutscher Sprache abgefassten
zuzustellenden Schriftstücken zu verweigern, wenn diesen keine Übersetzung Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/17010 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode in die Amtssprache des Empfangsmitgliedstaates oder in eine Sprache, die es
versteht, beigefügt ist. Auf die Antwort zu Frage Nr. 6 wird Bezug genommen. Nach §§ 26, 29 FamFG hat das Familiengericht den Sachverhalt von Amts wegen
zu ermitteln und die geeigneten Beweise zu erheben. Um sicherzustellen,
dass nicht-deutschsprachige Eltern dem Verfahren folgen und sich verständlich
machen können, ist nach Maßgabe des § 185 Absatz 1 GVG eine Dolmetscherin
oder ein Dolmetscher hinzuzuziehen. Auf die Antwort zu Frage Nr. 6 wird
insoweit Bezug genommen. Das Gericht hört im Rahmen des Verfahrens in der
Regel die Eltern (§ 160 FamFG), das Kind (§ 159 FamFG) und das Jugendamt
(§ 162 FamFG) an. Will das Gericht seine Entscheidung auf Erkenntnisse aus
der Stellungnahme des Jugendamts oder dem Sachverständigengutachten stützen,
so müssen die Beteiligten nach § 32 Absatz 2 FamFG zuvor Gelegenheit
gehabt haben, sich hierzu zu äußern. 13. Sieht die Bundesregierung mit der Einrichtung der Zentralen Anlaufstelle
für grenzüberschreitende Kindschaftskonflikte die Forderung des Europäischen
Parlaments nach der Einrichtung einer Plattform zur Unterstützung
von EU-Ausländern in Familienverfahren als erfüllt an? Die im November 2011 durch das BMFSFJ, das Auswärtige Amt, das BMJV,
das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und die Innenministerkonferenz
bei dem Internationalen Sozialdienst im Deutschen Verein für öffentliche
und private Fürsorge e. V. (ISD) eingerichtete Zentrale Anlaufstelle für
grenzüberschreitende Kindschaftskonflikte (ZAnK) hat die Aufgabe, betroffenen
Eltern im Sinne einer Lotsenfunktion beratend und unterstützend zur Seite
zu stehen und ihnen die im jeweiligen Fall bestehenden rechtlichen und sonstigen
Möglichkeiten (z. B. Mediation) aufzuzeigen, kulturelle Besonderheiten
darzustellen und weitere Kontakte zu vermitteln. ZAnK verweist im Rahmen
der Beratung auch an andere Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner und
stellt – wenn möglich und nötig – Kontakte ins Ausland her. In der Beratung
steht die Deeskalation des Konflikts im Vordergrund. Zentraler Bezugspunkt
der Beratung ist das Kindeswohl. Darüber hinaus bietet ZAnK Materialien und
Fortbildungsveranstaltungen für mit der grenzüberschreitenden Fallarbeit betraute
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Jugendämtern an. Im Jahr 2013 hat
der ISD die ZAnK-Internetseite darüber hinaus um eine eigene Seite für Kinder
und Jugendliche erweitert, damit diese sich auch eigenständig u. a. über den
Ablauf des familiengerichtlichen Verfahrens und Kinderrechte informieren
können und damit die Möglichkeit haben und besser befähigt werden, eigene
Wünsche und Vorstellungen zu äußern. ZAnK arbeitet kindeswohlorientiert,
neutral und kostenfrei. Der Forderung des Europäischen Parlamentes nach der Einrichtung einer Plattform
zur Unterstützung von EU-Ausländerinnen und EU-Ausländern in Familienverfahren
wird vor diesem Hintergrund ausreichend Rechnung getragen. 14. Wenn nein, beabsichtigt die Bundesregierung, den Vorschlag des Europäischen
Parlaments, die Einrichtung einer Plattform zur Unterstützung von
EU-Ausländern in Familienverfahren mitzufinanzieren und zu fördern,
umzusetzen? a) Wenn ja, bis wann? b) Wenn nein, warum nicht? Auf die Antwort zu Frage Nr. 13 wird verwiesen. Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/17010 15. Welche Anzahl an Eltern und Kindern war jeweils in den Jahren 2015,
2016, 2017, 2018 und 2019 in Deutschland von grenzüberschreitenden
Familienkonflikten betroffen? Entsprechende Zahlen werden nicht erhoben. 16. Von wie vielen Eltern oder Elternteilen wurde die Zentrale Anlaufstelle
seit ihrer Einrichtung im Jahre 2011 aufgrund von grenzüberschreitenden
Familienkonflikten in Anspruch genommen (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Zahlen zur Inanspruchnahme der ZAnK können der nachfolgenden tabellarischen
Darstellung entnommen werden: Darüber hinaus berät die ZAnK auch Fachkräfte, die mit Privatpersonen arbeiten,
so dass die Gesamtzahl der Beratungen über diesen Zahlen liegt. 17. Ist nach Kenntnis der Bundesregierung seit der Einrichtung der Zentralen
Anlaufstelle für grenzüberschreitende Kindschaftskonflikte ein Rückgang
der Petitionen, in denen in grenzüberschreitenden Familienstreitigkeiten
den deutschen Jugendämtern eine systematische Diskriminierung
vorgeworfen wird, zu verzeichnen? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Informationen vor. 18. Welche Kosten sind seit Bestehen der Zentralen Anlaufstelle jeweils
jährlich für diese angefallen? Der Internationale Sozialdienst (ISD) im Deutschen Verein für öffentliche und
private Fürsorge e. V. wurde im Jahr 2011 in alleiniger Trägerschaft mit der
Funktion der ZAnK betraut. Der Deutsche Verein hat die Wahrnehmung dieses
Mandats ohne zusätzliche Mittel übernommen und in sein Arbeitsfeld I (ISD)
integriert. Die Aufgabe wird im Rahmen der Gesamtförderung des Deutschen
Vereins mitfinanziert. Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/17010 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 19. Hat die Bundesregierung Kenntnis, ob die Länder Schulungen anbieten
und den internationalen Austausch der im Bereich der sozialen Dienste
beschäftigten Beamten fördern? Die Bundesregierung hat hierüber keine Kenntnis. Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
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